Mülheim. Henning Schulzke erinnert sich an den 11. April 1945, als die Amerikaner Mülheim befreiten. Zehn GIs quartierten sich bei seiner Familie ein.

Der heute 84-jährige Henning Schulzke war am 11. April 1945 noch nicht ganz neun Jahre alt. Er wohnte mit seiner Mutter und seiner sechsjährigen Schwester im ehemaligen Lohbeckshof - die Familie hatte dort über den Vater eine städtische Dienstwohnung. Er berichtet: „Es war am späten Vormittag, ein schöner sonniger Tag, und ich war auf der Straße vor unserer Wohnung. Ich schaute in die Mendener Straße, und dort sah ich zehn Amerikaner, auf jeder Straßenseite fünf, hintereinander, im Gänsemarsch.“

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Die Soldaten überwanden die Panzersperren und gingen auf das Haus der Familie zu. „Sie kamen in unsere Wohnung und in die Nachbarswohnung von Familie Scholl, durchsuchten alles; und dann machten sie bei uns Quartier. Zwei Tage und zwei Nächte lebten wir mit ihnen zusammen in unserer Wohnung.“

Zwei Tage und zwei Nächte mit amerikanischen Soldaten die Wohnung geteilt

Im Nachhinein meint Schulzke, dass seine Familie noch Glück hatte. Immerhin durfte sie in ihrer Wohnung bleiben, zumindest in der Küche. „Nachts mussten wir in unseren Keller gehen und dort schlafen - wir hatten dort wegen des ständigen Arie-Beschusses unsere Betten aufgeschlagen. Wenn wir nachts aufs Klo gehen mussten, so mussten wir klopfen und gingen dann mit Soldatenbegleitung aufs Klo, das sich in einem Anbau außerhalb unserer Wohnung befand.“

Ein Sprecher der „Einquartierung“ sei nach einiger Zeit in die Küche gekommen und habe die Mutter gefragt, ob sie den Soldaten etwas kochen könnte. Aber die Familie hatte selbst kaum etwas zu essen und keine größeren Vorräte, vor allem kein Fleisch. „So einigten sie sich auf Bratkartoffeln mit etwas Speck, und ich glaube auch etwas Rührei mit Schnittlauch. Für die Soldaten war es ja etwas Besonderes, mal eine warme Mahlzeit zu bekommen.“

Zigaretten, Schokolade und eine Dose Pferdefleisch als Geschenk

Etwas später kam der selbe Soldat wieder herein und fragte Schulzkes Mutter, ob sie rauche. Die Antwort teilte er seinen Kameraden mit: „,Yes, she smokes.’ Und dann kamen alle zehn Mann zu uns in die Küche, bedankten sich für das Essen, und jeder gab etwas: Zigaretten, Kaugummi, Schokolade, Wurst in Dosen. Und noch etwas, was ich gar nicht kannte: eine Dose ,Horse Meat’. Köstlich für uns Ausgehungerte.“

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Am folgenden Tag bezogen einige aus der Truppe an der Haustür zwischen den beiden Wohnungen Posten, erinnert sich Henning Schulzke. Von dort konnte man über die ehemalige „Hermann-Göring-Brücke“, die heutige Mendener Brücke, bis nach Saarn hinein schauen, ebenso über die gesamte Ruhraue. „Dort befanden sich noch deutsche Soldaten. Und die Amerikaner hatten Kontakt zu einer Geschützmannschaft, die oberhalb der Stadtgärtnerei Stellung bezogen hatte, um evtl. nach Saarn schießen zu können, wozu es aber nach meiner Erinnerung nicht kam.“

Am dritten Tag plötzlich verschwunden - Geld und Munition bleiben zurück

Am zweiten Tag, so berichtet der Zeitzeuge, erkundeten die Amerikaner die gesprengte „Hermann-Göring-Brücke“. Dabei fiel einer der Soldaten ins Wasser. „Die Folge war eine Wäscheleine über unserem Herd in der Küche, auf der die Kleidung und Geldscheine zum Trocknen hingen.“

Weitere Zeitzeugenberichte folgen

Zahlreiche Leserinnen und Leser haben sich in der Redaktion gemeldet, um ihre Erinnerungen an den Einmarsch der Amerikaner zu schildern. Manche stimmen auch mit den Berichten anderer überein.

Wir werden noch mehrere dieser Zeitzeugenberichte vorstellen. Wir möchten damit auch jüngere Leserinnen und Leser über eine Zeit informieren, die sie nicht miterleben mussten. Zugleich herrscht an vielen Stellen auf der Welt immer noch Krieg.

Am Morgen des dritten Tages habe niemand mehr die Familie aus dem Keller geholt. „Als wir uns vorsichtig nach oben wagten, stellten wir fest, dass uns unsere Einquartierung verlassen hatte. Offensichtlich Hals über Kopf, denn es blieben Schlafsäcke, Uniformteile, Geldscheine und Munition zurück.“

Baumlanger Kerl aus Tennessee repariert kaputten Spielzeugpanzer

Eine besondere Geschichte aus diesen Tagen möchte der 84-jährige Mülheimer gerne noch erzählen: „Ein baumlanger Kerl aus Tennessee saß mit mir im Wohnzimmer auf dem Boden und reparierte mir ein Blechspielzeug – einen Panzer! Es war anschließend wieder bespielbar. Das waren meine ersten Begegnungen mit den anrückenden Amerikanern.“

Auch später hätten sie immer wieder Neues und auch Abenteuerliches erlebt: Eine Sperrstunde wurde eingeführt, zu der alle von der Straße mussten. Weitere „Einquartierungen“ gab es. Und eine Notbrücke über die Ruhr wurde gebaut – „dies allerdings schon unter englischer Federführung“, ergänzt Schulzke.