Mülheim. 94 Prozent der Mülheimer Grünen wählen den 65-Jährigen auf ihrer Aufstellungsversammlung. Forderung im Wahlprogramm: drei neue Windkrafträder.
"Ernst nehmen, wem die Zukunft gehört" - unter diesem Motto hielten die Mülheimer Grünen mit 40 Mitgliedern und reichlich Corona-Distanz im Foyer der Otto-Pankok-Schule am Samstagnachmittag ihre Aufstellungsversammlung ab. Dort kürten sie Wilhelm Steitz zum neuen Kandidaten für das Oberbürgermeister-Amt. Und verabschiedeten ihr Wahlprogramm für die Kommunalwahl im September.
Mit 94 Prozent der Stimmen konnte Wilhelm Steitz als offiziell gekürter OB-Kandidat der Grünen gelassen aus der Sitzung gehen. Zuvor musste noch kurz das Frauenforum tagen, weil es nur einen männlichen Kandidaten gab. Keine Zigarettenlänge später waren Bedenken offenbar ausgeräumt und es ging an die Wahlurne. Gerade einmal zwei "Nein" standen gegen 34 mal "Ja".
Signal an die CDU, die sich nicht hinter Steitz stellen möchte
Nach der geplatzten gemeinsamen Kandidatin Diane Jägers, darf man die große Geschlossenheit der ansonsten oft kritischen Grünen getrost auch als Signal an die CDU verstehen, die sich hinter Steitz nicht stellen mochte. Botschaft: Wir sind ein starkes Team.
Und so war es auch der Team-Gedanke, den der Grüne in seiner Kandidatur-Rede nach vorne stellte. „Ich will mich mit euch gemeinsam einbringen“, kein „einzeln stehender Oberbürgermeister“ wolle er sein – der ansonsten sehr sachlich wirkende Grüne kann Spitzen setzen.
Wissenschaft und Stadtplanung mit an den Tisch setzen
Der 65-Jährige hat dennoch eigene Ideen, das ließ er anschließend im Gespräch durchblicken: Bei der Wirtschaftsförderung will er Wissenschaft und Stadtplanung mit an den Tisch setzen. Vorbild soll der Phoenix-See sein, der Wohnen, Gewerbe und Naherholung verbindet und in Dortmund als erfolgreiches Projekt für den Strukturwandel steht. „Weil ich die Formel 'mehr Gewerbeflächen gleich mehr Arbeitsplätze' zu simpel finde“, blickt Steitz auf den heiß diskutierten Gewerbe-Masterplan der Mülheimer Wirtschaftsförderung.
Es mache für ihn keinen Sinn, Naturflächen in Mülheim für Gewerbe zu zerstören, wenn es etwa in Duisburg Brachflächen gebe. „Von dem Naturraum in Mülheim hat schließlich auch der Duisburger Bürger etwas“, strebt der Netzwerker Steitz engere Kooperationen mit den Nachbarstädten an. Der Bedarf an Firmen in der Metropole Ruhr müsse regional abgedeckt werden, und dann müsse man auch über eine gerechte Verteilung von Gewerbesteuern reden.
Das Kirchturmdenken in Verwaltung und ÖPNV beenden
Doch wenn es um technische Bereiche der Verwaltung oder um den ÖPNV geht, will Steitz das Kirchturmdenken beenden. Verkehrsgesellschaft und Bürgerservice in jeder Stadt? Warum nicht Strukturen zusammenlegen? Da seien „finanzielle Schätze zu heben.“
Die Aufstellungsversammlung der Grünen hatte aber auch ein paar heiße Themen im Gepäck, denn es war noch über das Kommunalwahlprogramm abzustimmen. Schwerpunkt des Programms ist – wie kaum anders zu erwarten – der Klimaschutz. An die ökologischen Fragen hängen sich viele Bereiche. So wollen die Grünen künftig etwa alle Ratsentscheidungen auf Klimaverträglichkeit prüfen lassen.
Ökologische Prinzipien für die Vergabe von Gewerbeflächen vorgeben
Viel Geld will man in die Hand nehmen, um das Ziel der klimaneutralen Stadt bis 2035 umzusetzen: Schulen und Verwaltungsgebäude sollen energetisch saniert werden, beim Ausbau der (nachhaltigen) Wirtschaft sollen ökologische Prinzipien für eine Vergabe von Gewerbeflächen bzw. für Baugenehmigungen vorgegeben werden. Der Nahverkehr soll ab 2035 emissionsfrei fahren.
Mit einem neuen Verkehrskonzept soll der Nahverkehr als Ringbussystem umgestaltet werden. Ein innerstädtisches Jahresticket soll 1 Euro am Tag kosten – quasi eine Halbierung des aktuellen Abo-Preises. Für das Fahrrad will man einen eigenen Verwaltungsbereich einrichten, der möglichst autofreie Strecken entwirft.
Forderung: Drei neue Standorte für Windkrafträder finden
Das wird allerdings nicht nur für Freude sorgen: Die Grünen wollen einen Runden Tisch einrichten, um drei neue Standorte für Windkrafträder in Mülheim zu finden. Dieser Vorschlag könnte auf Widerstand stoßen - bereits gegen das bestehende Windkraftrad in Oberhausen-Alstaden hatte sich eine Bürgerinitiative formiert.
Und ist auch intern nicht unumstritten: „Es wird in dicht besiedelten Gebieten und ökologisch schwierig“, räumte Steitz ein, warb aber um eine Prüfung: „Solche Anlagen wären lukrativ – und wir brauchen erneuerbare Energien.“
Auch das Ende des Flughafens sehnen die Grünen herbei – „wir wollen ihn so schnell wie möglich schließen“, forderte Timo Spors (Kreisvorstand). Nach ihren Vorstellungen dürfte anschließend nur im nördlichen, bereits bebauten Gebiet Gewerbe entstehen. Der Rest gehörte dann dem Klima- und Artenschutz.
INFO:
- Ebenfalls intern nicht unumstritten ist die Forderung nach dem Ausbau der Straßenbahn nach Saarn. „Es ist machbar“, ließ der grüne Verkehrssprecher die Formulierung im Wahlprogramm auf eine Prüfung noch zur „Forderung“ verschärfen. Die Prüfung sei ja schon erfolgt.
- Fraktionskollege Tim Giesbert hatte dabei offenkundig Bauchschmerzen, denn die Machbarkeitsstudie hatte durchaus Schwierigkeiten bei der Umsetzung ergeben – „das zu fordern, führt nicht zu mehr Zustimmung“.
- Die VHS soll wieder zurück in ein modernisiertes Gebäude an der Bergstraße, fordern nun die Grünen im Wahlprogramm die Umsetzung des Bürgerentscheids.
- In einer Ratssitzung im vergangenen Dezember hatte man sich allerdings genau bei dieser Frage der Sanierung der VHS enthalten. Nach welcher Priorität und auf wessen Kosten nun die Modernisierung der VHS erfolgen soll, lässt das Wahlprogramm noch offen.