Mülheim. Investor SMW muss seine Bebauung auf dem Mülheimer Lindgens-Areal am Ruhrufer wohl mit Kesselhaus und Schornstein planen. Sie werden Denkmäler.

Die Obere Denkmalbehörde beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat ihr Gutachten zum Denkmalwert der übrig gebliebenen Gebäude der alten Lederfabrik Lindgens am Kassenberg vorgelegt. Ein umfassender Denkmalschutz steht an. Investor SMW (Sparkasse und Mülheimer Wohnungsbau) wird sich damit arrangieren müssen. Wenn es ihm nicht gelingt, den einzig möglichen Ausweg zu nehmen.

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Das Gerangel um den Denkmalwert insbesondere von altem Kesselhaus und dazugehörigem Schornstein mit dem markanten Lindgens-Schriftzug dauert nun schon seit Jahren an. Zwischen Baudezernat und Investor war gar ein Streit solchen Ausmaßes entbrannt, dass es OB Ulrich Scholten (gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied beim MWB) nötig erschien, die Koordination des herausragenden Projektes zur Stadtentwicklung an sich zu ziehen.

Stadtverwaltung hatte jahrelang eine Abrissgenehmigung verweigert

Städteplaner Joachim Haase vor dem Siegerentwurf für eine Bebauung auf dem Lindgens-Areal seines Aachener Büros „rha reicher haase associierte“.
Städteplaner Joachim Haase vor dem Siegerentwurf für eine Bebauung auf dem Lindgens-Areal seines Aachener Büros „rha reicher haase associierte“. © FUNKE Foto Services | Tamara Ramos

Schon im Mai 2016 hatte Investor SMW den Abrissantrag auch für Kesselhaus und Schornstein gestellt. Ein Jahr später reichte er eine Untätigkeitsklage gegen die Stadt ein, weil diese eine vollumfängliche Genehmigung verweigerte. Bekanntlich hat SMW mittlerweile große Teile des Areals räumen lassen, wegen der ungeklärten Denkmalfrage hatten die Bauherren Kesselhaus und Schornstein allerdings unberührt gelassen. Ebenso das als erhaltenswert angesehene viergeschossige Fabrikgebäude samt Turmaufbau an der Düsseldorfer Straße sowie das anschließende Verwaltungsgebäude.

Während sich die SMW von einem Gutachter hatte attestieren lassen, dass der Schornstein einsturzgefährdet, eine Sanierung äußerst aufwändig und einem Eigentümer wirtschaftlich nicht zuzumuten sei, blieb Baudezernent Peter Vermeulen eisern. Er forderte vom Investor kreative Lösungen, um das bauliche Zeugnis Mülheims als alter Lederstadt „stimmungsvoll“ in die Planungen zu integrieren. Dass so etwas möglich sei, bewiesen vergleichbare Projekte in anderen Städten, sagte er immer wieder.

Studenten-Projekt skizzierte neue Nutzungen für Kesselhaus, etwa eine Hausbrauerei

Zuletzt hatte sich gar ein Studienprojekt damit beschäftigt, wie Kesselhaus und Schornstein durch mögliche Anbauten für eine künftige Nutzung hergerichtet werden könnten. Einige Planungspolitiker fanden etwa Gefallen an dem Entwurf für eine Hausbrauerei samt Gastronomie und angeschlossenem Hotel, das die Düsseldorfer Architektur-Studentin Inga-Selina Michelau entworfen hatte.

Der Siegerentwurf aus dem städtebaulichen Wettbewerb lässt bis zu 360 Wohnungen auf dem Lindgens-Areal zu. Das letzte Wort hat die Politik.
Der Siegerentwurf aus dem städtebaulichen Wettbewerb lässt bis zu 360 Wohnungen auf dem Lindgens-Areal zu. Das letzte Wort hat die Politik. © REICHER HAASE ASSOZIIERTE

Nun hat der Baudezernent eine Trumpfkarte mehr in der Hand: Die beim LVR angedockte Obere Denkmalbehörde hat das städtische Denkmalamt zuletzt aufgefordert, neben dem alten Pförtnerhaus sowie noch stehenden Fabrik- und Verwaltungsgebäuden auch das 1940 errichtete Kesselhaus samt Pumpengebäude und 46 Meter hohem Schornstein unter Denkmalschutz zu stellen. Stadtplaner Felix Blasch, der die Denkmalbehörde in Mülheim leitet, verkündete dies am Dienstagabend im Planungsausschuss.

Gutachter begründet Denkmalwert auf 25 Seiten

Das entsprechende Gutachten des LVR beschreibt den Denkmalwert der Gebäude auf 25 Seiten, die dieser Redaktion vorliegen. „Die Erhaltung und Nutzung der ehemaligen Lederfabrik liegt aus städtebaulichen und wissenschaftlichen, insbesondere architekturhistorischen und industriegeschichtlichen Gründen im öffentlichen Interesse“, heißt es dort zum Gebäude-Ensemble. Die Leserfabrikation war mehr als 350 Jahre lang einer der wichtigsten Mülheimer Industriezweige. Die Lederfabrik Lindgens zählte über vier Generationen hinweg zu den bedeutendsten Mülheimer Betrieben und produzierte als letzter Mülheimer Betrieb noch bis 2009 an seinem Stammsitz.

Neues Verkehrsgutachten liegt vor

Im Juni 2019 war nach einem städtebaulichen Wettbewerb der Siegerentwurf für eine Bebauung auf dem Lindgens-Areal gekürt worden. Die Jury entschied sich für den Entwurf des Büros „rha reicher haase associierte“ (RHA, Aachen) und des Landschaftsarchitekturbüros „club L 94“ aus Köln, auf dessen Basis mittlerweile ein Bebauungsplanverfahren in Gang gesetzt ist.

Der Investor plant entgegen ursprünglicher Ankündigungen mit bis zu 360 statt 200 Wohneinheiten auf dem 4,2 Hektar großen Filetstück der Stadtentwicklung. Im Hinterland zwischen Kassenberg und Ruhr ist eine drei- bis fünfgeschossige Bebauung geplant.

Laut MWB-Sprecher Winkler liegt dafür mittlerweile auch ein neues Verkehrsgutachten vor. „Die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass durch die überwiegende Wohnbebauung – bei der ja vor allem in den Morgen- und Abendstunden mehr gefahren wird, und nicht, wie bei Gewerbe und Einzelhandel, ganztägig – auch mehr als 200 Wohnungen ohne Probleme entstehen könnten.“ Dies gebe der SMW „mehr Freiheit bei der weiteren Planung, aber es bedeutet nicht, dass über die endgültige Zahl der entstehenden Wohnungen schon definitiv entschieden wäre“.

„Kesselhaus und Schornstein gehören heute, nachdem die Schornsteine der anderen Mülheimer Lederfabriken durchweg abgebrochen oder auf einen Kaminstumpf geringer Höhe zurückgebaut wurden, zu den letzten stadtbildprägenden Zeugnissen einer zur Jahrhundertwende noch von zahlreichen Rauchgaskaminen dominierten Fabrikagglomeration am Broich-Saarner Ruhrufer“, heißt es weiter.

Der LVR-Gutachter sieht durch die Bauten „die facettenreiche Entwicklungsgeschichte eines bedeutenden Unternehmens der international renommierten Mülheimer Lederindustrie“ dokumentiert. Insbesondere das Kesselhaus mit seiner „trutzigen Monumentalität“, das Pumpengebäude und der Schornstein verwiesen eindrücklich auf die industrielle Vergangenheit des Standortes.

Investor will Gutachten prüfen und behält sich Klage vor

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Gegen die anstehende Unterschutzstellung könnte Investor SMW klagen, wenn er nachweisen kann, dass eine Sanierung von Kesselhaus, Pumpengebäude und insbesondere Schornstein für ihn wirtschaftlich nicht zumutbar wäre. Eine Entscheidung dazu ist noch nicht gefallen, wie MWB-Sprecher Andreas Winkler am Mittwoch auf Anfrage erklärte. Wenn der SMW selbst das Gutachten vorliege, werde man prüfen.