Mülheim. Weil wegen Corona keine Gottesdienste mit Besuchern stattfinden dürfen, streamt die Mülheimer Petri-Kirche live. Die Gläubigen sind begeistert.
Um Punkt 11 Uhr am Sonntag steigt die Konzentration bei Pfarrer Justus Cohen und Küster Sascha Fisch. Sie sitzen vor PC und Mischpult und haben die Uhr im Auge, damit das Intro zum Live-Gottesdienst – ein Flug über die Petrikirche, den Kirchenhügel und die Innenstadt – pünktlich abgefahren wird. In Zeiten von Corona ist die evangelische Kirche kreativ – und feiert digital ihren Gottesdienst.
Noch eine letzte kurze Absprache zwischen Pfarrerin Sabine Sandmann, die den Gottesdienst leitet, und Kameramann Andreas Köhring, bevor die Glocken der Petrikirche den Gottesdienst, der live auf Youtube übertragen wird, einläuten. Dann stehen Pfarrerin Sabine Sandmann und Sopranistin Sonja Schwechten buchstäblich im Rampenlicht – ausgeleuchtet von großen Scheinwerfern, die rund um den Altarbereich positioniert sind.
Sechster Mülheimer Online-Gottesdienst in der Petri-Kirche
An der Orgel begleitet Kantor und Organist Gijs Burger den ungewöhnlichen Gottesdienst, der immer mehr zur Routine wird. Denn bereits zum sechsten Mal begrüßt das Pfarrteam der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde (VEK) Mülheim die Online-Gemeinde aus der Petrikirche.
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„Wir werten die Videos hinterher immer aus und lernen natürlich von Mal zu Mal dazu“, sagt Annegret Cohen, die sich mit Ehemann Justus eine Einzelpfarrstelle teilt und selbst schon zwei Mal einen Online-Gottesdienst geleitet hat. „Beim ersten Live-Stream waren Lippen und Ton nicht ganz synchron, aber es wird alles immer professioneller.“
Rückmeldungen aus der Gemeinde sehr positiv
Natürlich sei es eine Herausforderung, live zu sein und die Gottesdienste nicht vorher aufzuzeichnen. Diese Herausforderung habe man jedoch gerne angenommen. Denn auch wenn die Bänke in der Kirche leer sind, wisse man dennoch, dass man über die Kamera genau in diesem Moment zu den Menschen zuhause spreche. Menschen, die zeitgleich mitsingen und beten. „Bei einer Aufzeichnung hätte ich nicht das Gefühl, die Menschen direkt zu erreichen“, so Pfarrerin Cohen.
Die Rückmeldungen von Gemeindemitgliedern könnten nicht positiver sein. Die Menschen, aber auch das Pfarrteam seien dankbar, wenigstens als Online-Gemeinde regelmäßig zusammenzufinden. Auch wenn es nur vor den Bildschirmen ist. Denn bekannte Gesichter, Fürbitten für verstorbene Gemeindemitglieder, Altarschmuck, der von Mülheimer Kindern zu Ostern gebastelt wurde, all das könne ein Fernsehgottesdienst nicht ersetzen, meint Annegret Cohen.
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Mülheimer Gottesdienst auf Platz drei in Deutschland
Gemeindemitglieder können sich auch aktiv in die Gestaltung des Online-Gottesdienstes einbringen. Anregungen und auch Fürbitten, die das Pfarrteam erreichen, werden aufgegriffen, nach der Live-Übertragung erreichen die Organisatoren über die sozialen Netzwerke, in Whatsapp-Gruppen oder auch persönlich via Telefon viel Lob und Dankbarkeit.
Obwohl der Live-Stream an diesem Sonntag der mit den wenigsten Zuschauern seit Beginn des Online-Angebots war, schafft es der Gottesdienst auf Platz drei der meist gesehenen Live-Gottesdienste bei Youtube – nach denen im Kölner Dom (Platz 1) und aus der Neuapostolischen Kirche in Hamburg (Platz 2).
Online-Angebot soll auch auch nach Kontaktverbot bleiben
Deshalb gebe es auch schon konkrete Überlegungen, das Online-Angebot auch nach dem strengen Kontaktverbot beizubehalten. Für Menschen, die zur Risikogruppe gehören und aus Angst vor Ansteckung zuhause bleiben oder für kranke Gemeindemitglieder, die nicht mehr die Möglichkeit haben, den Gottesdienst zu besuchen.
Auch wenn Corona und die damit verbundenen Sorgen und Einschränkungen in den Online-Gottesdiensten thematisiert werden, richten sich die Pfarrer an die vorgegebenen Themen des Kirchenjahres. An diesem Sonntag begrüßt Pfarrerin Sandmann die Gemeinde zum Quasimodogeniti, dem ersten Sonntag nach Ostern, in einer Zeit, in der „die Auferstehungshoffnung uns aufs Neue erfüllt“, so Sandmann. „Mit neuer Kraft und Hoffnung ins Leben gehen, das können wir in dieser Zeit gut gebrauchen.“
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Auch Mülheims katholische Kirche ist in Corona-Zeiten kreativ
Auch die katholische Kirche in Mülheim ist in der Krisenzeit kreativ und sucht alternative Kanäle, um die Gemeindemitglieder zu erreichen. Pfarrer Christian Böckmann etwa, der die beiden Pfarreien St. Barbara und St. Mariä Himmelfahrt leitet, stellte bereits am 19. März seinen ersten Podcast auf die Internetseite von Mariä Himmelfahrt. Es sind theologische und spirituelle Impulse mit Musik, die in den Gemeinden auf positive Resonanz stoßen.
„Wir waren sehr erstaunt, wie häufig die Podcasts angeklickt werden“, schildert Pfarrer Böckmann seine Erfahrung, die er und seine Kollegen mit den coronabedingten Online-Angeboten sammeln. „Mittlerweile beteiligen sich auch Messdiener und Gemeindemitglieder an den Audio-Impulsen und möchten Kirche in dieser Zeit besonders mitgestalten.“
Regelmäßige Video-Ansprachen durch Stadtdechant Michael Janßen
Einen regelmäßigen Online-Gottesdienst feiern die Mülheimer Katholiken nicht. Man habe sich ganz bewusst dagegen entschieden, so Böckmann, da es schon so viele Angebote im Internet gebe. Dass jedoch gerade in der Krisenzeit das Bedürfnis nach Kirche und seelischem Beistand groß ist, sei deutlich spürbar. „Diesem Bedürfnis möchten wir auch Rechnung tragen“, so Böckmann und verweist auch auf die regelmäßigen Video-Ansprachen durch Stadtdechant Michael Janßen.
„Es ist ein ganz schmerzlicher Verlust, dass im Moment keine Gottesdienste stattfinden können, der Schmerzensdruck wird auch merklich größer.“ Um den Gläubigen wenigstens die Möglichkeit zum stillen Gebet zu geben, sind das Kloster Saarn und die Kirche St. Michael in Speldorf für Besucher wieder geöffnet. Aufgrund der Ansteckungsgefahr und der Einschränkungen im Hinblick auf Versammlungen befürchtet Böckmann, dass man noch lange auf Gottesdienste mit vielen Besuchern verzichten müsse.