Mülheim. Die NRW-Jusos besuchten soziale Einrichtungen in Mülheim, um sich über Pflege-Berufe zu informieren. Und erfuhren, an welchen Stellen es hakt.

Von der Zinkhüttenstraße in Mülheim-Eppinghofen aus sind die beiden Wohneinrichtungen der Awo für psychisch erkrankte Menschen gar nicht zu sehen. Sie liegen etwas verborgen im hinteren Bereich eines Seitenarms. Allein wegen dieser Symbolik eignete sich dort ein Besuch beim Equal Care Day. Dieser Aktionstag soll auf Berufe aufmerksam machen, die nicht nur im geografisch Verborgenen stattfinden.

Begangen wird der Tag seit 2016 grundsätzlich am 29. Februar. Durch die Symbolik des nur alle vier Jahre existierenden Schalttages soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass die sogenannte „Care-Arbeit“ weitestgehend im Unsichtbaren stattfindet. 55 Mitglieder der nordrhein-westfälischen Jusos machten sich daher am Samstag auf den Weg in verschiedene soziale Einrichtungen, um mit Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen und die Systeme zu verstehen. „Wir mussten die Kapazitäten sogar begrenzen“, berichtet Pressesprecher Lukas Günther.

Zahl der psychische Erkrankungen steigt an

15 von ihnen besuchten das Fritz-Driskes- und das Seppl-Kuschka-Haus der Awo in Eppinghofen. Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum und Einrichtungsleiterin Sina Glugowski berichteten über die Herausforderungen in ihrer täglichen Arbeit. „Bei Pflege denkt man erstmal an ältere Menschen. Aber psychische Erkrankungen steigen – auch bei Kindern“, sagt Rosenbaum. In der Wirtschaft würde man wohl von einem Wachstumsmarkt sprechen.

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„Die Arbeit mit psychisch Kranken haben die Wenigsten als Berufswunsch“, weiß Sina Glugowski. Daher bestehe in diesem Bereich auch ein Fachkräftemangel. Schließlich ist die Belastung hoch – physisch wie psychisch. Suizidale Absichten der Bewohner gehören zum Arbeitsalltag. „Soziale Arbeiter brauchen Dinge, die sie in ihrem Studium nicht lernen können“, sagt sie.

Bürokratie kostet Zeit und Geld

Wie in vielen Bereichen frisst auch hier die Bürokratie Zeit und Geld. „Wir haben spezielle Nachweispflichten. Was nicht dokumentiert wurde, gilt als nicht durchgeführt“, weiß die Leiterin. Geschäftsführerin Rosenbaum ergänzt: „Das Geld sollte lieber in den Personalschlüssel gesteckt werden.“

Ohnehin wünscht sie sich einen anderen Umgang mit den Finanzen, würde auf Regel- statt auf Projektförderung setzen. „Im Moment wird vor allem an einzelnen Leistungen verdient. Das ist eine völlige Fehleinschätzung des gesamten Gesundheitssystems, dass damit Geld verdient wird, dass Menschen krank sind“, ärgert sich die Geschäftsführerin.

Schwierige Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes

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Ein Paradigmenwechsel war in ihren Augen zudem die Einführung des Bundesteilhabegesetzes. Dies soll Menschen mit Behinderung mehr Selbstbestimmung garantieren. Allerdings sehen die beiden Mülheimerinnen ihren Einsatzbereich nicht vernünftig mitbedacht. „Unsere Klienten dürfen nicht eigenständig entscheiden, wir dürfen es aber jetzt auch nicht mehr übernehmen, so dass die Menge der gesetzlichen Betreuer maßgeblich gestiegen ist“, erklären beide.

Michaela Rosenbaum würde zudem über innovative Wohnprojekte mit eigenen Räumen für die Pflegenden nachdenken. „Das ist die einzige Lösung“, findet sie. Die Frage nach den geeigneten Wohnformen müsse vor der Eröffnung neuer Einrichtungen dringend beantwortet werden. Dass Plätze benötigt werden, liegt auf der Hand. In Mülheim gibt es mit dem Josefshaus nur eine zweite Langzeiteinrichtung für psychisch behinderte Menschen. „Nur eine weitere würde wahrscheinlich auch nicht reichen“, vermutet Sina Glugowski.

Bestehende Eindrücke wurden verstärkt

Für die Jusos wurden durch den Vormittag in Eppinghofen viele ihrer Eindrücke und bestehenden Forderungen klar unterstrichen. „Diese Betreuung erfährt gesellschaftlich oft nicht die Anerkennung, die sie verdient hätte“, findet die Landesvorsitzende Jessica Rosenthal. Das Probleme ließe sich aber nur lösen, „wenn man Geld in die Hand nimmt“, fordert sie.