Mülheim. In einer Wohnung an der Aktienstraße in Mülheim soll es Ratten geben. Schimmel ist an den Wänden. Eine junge Mutter (31) hat Angst um ihr Baby.
Das Trippeln von Krallen auf dem hellen Laminat-Boden weckt Assia El Yousfi am Mittwochabend um 23 Uhr in ihrem Schlafzimmer, ihre vier Monate alte Tochter Jannat schläft im weißen Holzbettchen neben ihr. „Plötzlich war da ein schwarzes Tier mit langem Schwanz“, sagt sie auf spanisch – Assia El Yousfi kommt aus Marokko, hat viele Jahre in Spanien gelebt, wohnt seit eineinhalb Jahren in Mülheim. Sie traut sich nicht mehr, mit ihrer Tochter in der Wohnung zu bleiben, will raus – doch der Fall ist nicht so einfach zu klären.
Vor vier Jahren hat Assia El Yousfis Mann die Wohnung im Erdgeschoss eines gewöhnlichen Mehrfamilienhauses an der Aktienstraße angemietet. Er arbeitet in der Baubranche, ist oft auf Montage, derzeit in Karlsruhe. Die 31-Jährige folgte ihrem Mann vor eineinhalb Jahren aus Spanien nach Mülheim, ihr Deutsch ist noch schlecht, aber spanisch spricht sie fließend.
Mülheimerin schaltet Ordnungs-, Gesundheits- und Jugendamt ein
Assia El Yousfi freundet sich mit Fatima an, die auch aus Marokko stammt. Ihre Nachbarin Rosi kümmert kümmert sich mit um Assia, begleitet sie ins Krankenhaus zur Geburt ihrer Tochter, schneidet die Nabelschnur der kleinen Jannat durch. „Das Baby ist mir ans Herz gewachsen“, sagt die 78-Jährige, die ihren kompletten Namen nicht veröffentlichen möchte. Und sie ist es, die Alarm schlägt, als Assia von Ratten in der Wohnung berichtet. Eine sei unter der Toilette herausgekrabbelt. Sie traut sich nicht mehr alleine ins Bad, hat Angst um ihr Baby. Rosi läuft Sturm bei der Stadt, wendet sich Anfang der Woche an Ordnungs-, Gesundheits- und Jugendamt. „Ich helfe gerne, aber ich bin nervlich am Ende“, sagt sie.
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In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, als Assia El Yousfi eine Ratte am Bett ihrer Tochter entdeckt, wendet sich die verzweifelte Frau wieder an Rosi. Die 78-Jährige ruft die Polizei. Wie ein Sprecher bestätigt, sehen sich die Beamten in der Nacht die Wohnung an, ergreifen aber keine weiteren Maßnahmen, weil die junge Mutter mit ihrem Baby bei Fatima unterkommt.
Mülheimer Gesundheitsamt findet keine Spuren von Ratten
Am Freitagmorgen dann untersuchen Wohnungsaufsicht und Gesundheitsamt die Zwei-Zimmer-Wohnung. Sie ist sauber und gepflegt, das Laminat aber schlecht verlegt, Fußleisten fehlen. Das Problem: Von Ratten ist keine Spur zu finden. Assias Mann hatte Fallen aufgestellt, „nicht ordnungsgemäß“, wie ein Mitarbeiter des Gesundheitsamtes sagt. Im Keller allerdings war bereits ein Schädlingsbekämpfer aktiv, engagiert vom Vermieter, hat ebenfalls Fallen aufgestellt.
Die Mitarbeiter der Stadt untersuchen das Gebäude, finden keine Löcher in den Wänden oder im Keller, erkennen nicht, wo die Ratten reingekommen sein könnten. Auch finden sie keine Spuren der Nagetiere. „Normalerweise sieht man Rattenkot oder Lebensmittelpackungen, die angenagt sind“, sagt Gesundheitsingenieur Frank Pisani, „aber hier haben wir nichts gefunden“. Auch könne er nicht nachvollziehen, wo die Ratten hereingekommen sein könnten. Assia El Yousfi berichtet von Löchern in den Wänden, die aber ihr Mann zugespachtelt habe.
Mülheimer Gesundheitsamt kann Wohnung nicht für unbewohnbar erklären
Das hieße nicht, dass er der Frau nicht glaube – aber Pisani habe eben keine Beweise, um die Wohnung für unbewohnbar zu erklären. Dann wäre der Mietvertrag per se beendet, die Familie stünde auf der Straße. Damit wäre aber auch der Weg für einen Umzug geebnet. Da die 31-Jährige Untersützung vom Sozialamt bekommt, muss dieses einen Umzug genehmigen.
Es sind aber nicht nur die Ratten, die Assia El Yousfi aus der Wohnung treiben. In der Küche zieht sich der Schimmel über die Wände. Auch die Kleidung in den Schränken zieht Schimmel – „alles ist feucht“, sagt sie. „Dieses Problem haben wir häufiger“, berichtet Frank Pisani. „Manche Leute lüften nicht richtig.“ Vor Ort erklärt er, wie die junge Mutter den Schimmel beseitigen kann, wie sie richtig lüftet, damit er nicht wiederkommt. Doch wegen Schimmels kann er die Wohnung nicht für unbewohnbar erklären – bei Schimmel die Schuldfrage zu klären, sei schwierig. Die Familie könne nur auf die Kulanz des Vermieters hoffen.
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Eigentümer ist eine Mülheimer Immobilien-Firma, die nicht genannt werden will. Über ihren Anwalt lässt sie mitteilen, dass Assia El Yousfis Mann bereits im Juli 2019 den Schimmel gemeldet habe. Ein beauftragter Sachverständiger habe festgestellt, dass der Schimmel auf die raumklimatischen Bedingungen zurückzuführen sei. Der Mann habe nicht kooperiert, auf eine Terminanfrage zur Beseitigung habe er lange nicht reagiert, schließlich sei ein Termin für Ende Januar vereinbart worden.
Eigentümer: Termine mit Schädlingsbekämpfer seien nicht eingehalten worden
Anfang des Jahres allerdings meldete Assia El Yousfis Mann – er ist Hauptmieter –, dass er eine Ratte in der Wohnung gesehen habe. Die Firma habe einen Schädlingsbekämpfer engagiert, zwei abgestimmte Termine seien aber von dem Ehepaar nicht eingehalten worden. Erst am vergangenen Dienstag soll die Firma in die Wohnung gekommen sein. Die Anwaltskanzlei teilt mit, dass ihre Mandantin „wie auch bei allen weiteren Immobilien, äußert bemüht und engagiert war und ist, sich um etwaige Belange und Probleme unverzüglich zu kümmern“.
Falsche Lüftung oft Schuld bei Schimmel
Dem Vermieter Versäumnisse bei Schimmelbefall nachzuweisen, sei schwierig, sagt Gesundheitsingenieur Frank Pisani. Denn meist habe der Befall etwas mit dem Lüftungsverhalten zu tun. Allein das Auftreten von Schimmel sei deshalb auch kein Grund, eine Wohnung für unbewohnbar zu erklären.
Ständig die Fenster zu kippen bringt nichts: Viel Wärme geht verloren und die Wände kühlen ab, was die Schimmelbildung beschleunigen kann. Besser ist es, beim Lüften die Fenster für einige Minuten weit zu öffnen.
Die junge Mutter wird nun erstmal solange ihr Mann auf Montage ist bei ihrer Freundin wohnen und hoffen, dass sie Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Wohnung findet. Die Stadt könnte ihr eine kurzfristige Unterbringung in der Flüchtlingsunterkunft in Styrum anbieten, dort möchte sie wegen der vielen Männer aber nicht hin. Ihre Wohnung mag sie eigentlich gar nicht mehr betreten: „Ich habe Angst.“