Mülheim. Die Kernsanierung im denkmalgeschützten ehemaligen Woolworth-Haus an Mülheims Schloßstraße zieht sich. Aber die Mieter stehen mittlerweile fest.
Gastronomie, Büros, Praxen, Wohnen – alles sei möglich, hatte Investor Christian Schweckhorst vor fast zwei Jahren den Blick nach vorne gewagt, wenn am Fuße der Schloßstraße das denkmalgeschützte ehemalige Woolworth-Haus („The O.“) im Herbst 2019 in neuer Pracht wiedereröffnen werde. Der Herbst 2019 ist in drei Tagen vorbei, die Eröffnung wird noch unbestimmte Zeit auf sich warten lassen. Doch die Mieter stehen fest.
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Architekt Ralph Linge-Boom hat seinen Humor, seine Gelassenheit nicht verloren, auch wenn der Zeitdruck enorm ist, sitzen ihm, dem Dirigenten der Baustelle, erste Mieter doch schon im Nacken, weil sie möglichst morgen einziehen wollen. „Ich belege demnächst einen Zauber-Lehrgang und lerne Bau-Polnisch“, scherzt Linge-Boom – um dann ernst nachzuschieben, dass die Sanierung eines derart komplexen, dazu denkmalgeschützten Gebäudes viele Tücken im Detail berge. Das brauche seine Zeit, wolle man seinem Anspruch gerecht werden, möglichst alles Denkmalwerte zu erhalten oder wieder herauszuarbeiten.
Architekt: Gastronomie- und Handelsketten hatten kein Interesse an Mülheim
Linge-Boom blickt auf zwei Jahre intensiver Suche nach Mietern zurück. Jetzt kann er sagen: Voll vermietet. Aber, das sagt er auch: Es habe große Mühen gekostet. „Wir haben deutschlandweit sämtliche Expansionsleiter größerer Gastronomien und aus dem Einzelhandel angeschrieben, ein sehr aufwändiges Prospekt erstellt“, sagt der Architekt.
Das Echo sei wie folgt zusammenzufassen: „Ein wunderschönes Objekt, aber leider in Mülheim.“ Das sei die Quintessenz nach zwei Jahren: Der Stellenwert Mülheims sei bei Investoren und potenziellen Mietern aus Gastronomie und Handel sehr niedrig.
„The O.“ wird ein Gesundheitshaus
So wird aus dem Wunsch, im Erdgeschoss mit einem Ankermieter mit besonderer Strahlkraft aufzutrumpfen, nichts. „The O.“ wird ein Gesundheitshaus. Mit Apotheke im Erdgeschoss, einer Gemeinschaftspraxis von Allgemeinmedizinern, die von der Leineweberstraße rüberzieht, einer Zahnarztpraxis und einem modernen Physiotherapie-Zentrum, das sich über drei Etagen erstrecken wird.
Weil sich die Mieterakquise länger hingezogen hat und der Innenausbau davon abhängt, wird die Eröffnung noch auf sich warten lassen. Neue Bauanträge mussten her, auch ein neues Brandschutzkonzept. Wie emsige Ameisen teilen sich aktuell Handwerker aus sieben Gewerken die Baustelle auf, um jeder für sich schnellstmöglich voranzukommen.
Denkmalgeschützte Treppe hängt an Stahlketten in der Luft
Spezialgewerke sind darunter, das wird klar, als Architekt Linge-Boom bei einer Baustellen-Stippvisite dort steht, wo einmal Treppenhaus und Aufzug den Weg in die oberen Etagen ebnen sollen. Riesige Sägeblätter kämpfen sich hier kreischend durch den Unterzugbeton.
Hier ist noch eine besondere Herausforderung zu meistern: Weil die alte Treppe in den unteren Stockwerken zu eng und nicht mehr zu halten war, muss sie komplett neu gebaut werden. Der Rest der alten Treppe soll aber erhalten werden. Sie hängt nun, an schweren Eisenketten befestigt, in der Luft. . . Allein für die L-förmige Wand des Treppenhauses im Innern waren 140 Tonnen Beton neu zu verbauen. Dafür musste noch ein Extra-Fundament mit 15 Kubikmetern Stahlbeton her.
„Im ganzen Gebäude gibt es nicht einen rechten Winkel“
„The O.“ – als Würdigung von Kaufmann Hugo von Othegraven
Das denkmalgeschützte Haus an der Schloßstraße wurde 1928 nach den Plänen des Architekten Prof. Emil Fahrenkamp errichtet. Bauherr war Kaufmann Hugo von Othegraven, an den auch der aktuelle Projektname „The O.“ erinnert.
Das Gebäude besteht, auf einer Grundfläche von gut 400 Quadratmetern, aus einem vier- beziehungsweise fünfgeschossigen Stahlbeton- und Backsteinbau. Die Brutto-Geschossfläche beträgt 2230 Quadratmeter.
Linge-Boom schmunzelt. „Das Treppenhaus ist zweifach konisch, im ganzen Gebäude gibt es nicht einen rechten Winkel, der Boden hat ein Gefälle von bis zu 15 Zentimetern. Das einzig Gerade wird am Ende der Aufzug sein.“ So sei das, wenn man ein Haus aus dem Jahr 1928 saniere. Am Ende, ist sich der Architekt sicher, werde „The O.“ ein Juwel sein am Fuße der Schloßstraße. „Wir lassen das Gebäude wieder so charmant werden, wie es einmal war.“ Was ja schon die restaurierte Fassade mit original nachempfundenen Fenstern erahnen lässt.
Es soll auf jeden Fall eine würdige Eröffnungsparty geben. Wann? 2020 sei „ein Muss“, so Linge-Boom, er werde aber keine Terminprognose wagen. Sagt er und zeigt noch mal, dass ihm die schwierige Baustelle die gute Laune nicht nimmt: „Ich arbeite nicht bei Amazon. Wir arbeiten im denkmalgeschützten Altbau, wo nichts zu kalkulieren ist.“ Soll heißen: Es wird geliefert, aber nicht morgen.