Mülheim. Kostenlose Hilfe in Mülheim für Krebserkrankte und Angehörige in Krisen, aber auch in der Zeit nach der Krankheit. Warum die Belastung hoch ist.
Die Diagnose Krebs ist für Betroffene ein extremer Schock, der bis in die Familien und Freundeskreise hinein wirkt. In Essen berät man daher seit 20 Jahren nicht nur den Erkrankten sondern auch sein soziales Umfeld. Das kostenlose Angebot der Krebsberatung haben die Akteure nun auch in Mülheim etablieren können. Denn der Bedarf in der Ruhrstadt ist groß.
Zehn Prozent aller Essener Beratungsfälle kommen aus Mülheim
Rund 300 krebskranke Menschen und ihre Angehörigen berät die Essener Krebsberatung der Parisozial (Paritätischer Wohlfahrtsverband) am Camillo-Sitte-Platz 3 im Jahr. Gut zehn Prozent der Fälle jedoch kommen aus Mülheim, sagt die Sozialpädagogin und Beraterin Annette Friedrich. Und sie geht von deutlich mehr Mülheimern aus, die sich gerne beraten ließen, aber den Weg in die Nachbarstadt nicht antreten können.
Die neue Mülheimer Beratungsstelle ist deshalb froh, einen Platz im Gesundheitsamt an der Heinrich-Melzer-Straße 3 gefunden zu haben, der gleich in mehrfacher Hinsicht niederschwellig ist. Zum einen durch die nahe Anbindung an Parkplätze und den Nahverkehr, zum anderen, dank Fahrstuhl, durch die Barrierefreiheit. Wichtige Hürden, also, sind abgebaut.
Die Diagnose Krebs ändert alles – ist aber nur die Spitze des Eisberges
Doch das Thema bleibt ein schweres: „Die Diagnose Krebs ändert alles“, sagt die beratende Psychologin Kathrin Bochmann, die Erkrankung sei dabei nur die Spitze eines Eisberges. „Erst einmal funktioniert man einfach nur, macht die Behandlung, die sehr oft nach Wochen beendet ist“, weiß die erfahrene Psychologin aus zahlreichen Gesprächen.
Unter dem Eisberg verborgen aber liegen die Erfahrung, dass das eigene Leben endlich ist, sowie der mit der Behandlung oft auch einsetzende finanzielle Druck, die Angst vor der nächsten Nachuntersuchung – Prozesse, die selbst nach einer Heilung noch präsent sind. Und verarbeitet werden müssen. „Auch die Angehörigen erleben alles mit, die Belastung ist ähnlich hoch“, so Bochmann. Es vermischen sich Hilflosigkeit, Trauer und auch Wut. „In der Beratung dürfen Angehörige diese Gefühle auch zeigen – was sie sonst nicht können.“
Beratungsstelle ist noch auf Spenden angewiesen, hofft auf Änderungen im Bund
Krebs ist nicht nur eine Folge einer immer höheren Lebenserwartung. Ein weiterer Grund für den wachsenden Bedarf an Beratung liegt – und das mag schräg klingen – in den höheren Therapieerfolgen der Krankheit. „Die Menschen leben länger mit Krebs, damit dauern etwa die psychischen Belastungen auch länger an, etwa durch Nachuntersuchungen.“ Und das ruft weitere Aufgaben für die Beratungsstellen auf, die über die Hilfe in der Krise hinaus gehen: Ernährungspläne erstellen, Vermittlung in Selbsthilfegruppen, sozialrechtliche Informationen.
Krebsberatung jeden Donnerstag nach Anmeldung
Das bietet die neue Beratungsstelle an: Gespräche und Hilfestellung in Krisensituationen, psychoonkologische Unterstützung, Lotsenfunktion zu wichtigen Angeboten, Zugang zu medizinischen Informationen, Vermittlung in Selbsthilfegruppen, sozialrechtliche Basisinformationen.
Die Beratungsstelle im Gesundheitsamt an der Heinrich-Melzer-Straße 3 öffnet donnerstags von 10 bis 15 Uhr. Eine Voranmeldung zur persönlichen Beratung ist erforderlich: 455 5396 und per E-Mail: krebsberatung-muelheim-ruhr@paritaet-nrw.org
Weitere Informationen auch zu Spendemöglichkeiten: www.krebsberatung-muelheim.de
Thomas Schipper, Vorsitzender der Tholl-Brandt-Stiftung, kennt die Situation aus eigener Erfahrung: „Ohne die Unterstützung, besonders meiner Frau, hätte ich diese Zeit nicht bewältigt.“ Die Stiftung unterstützt daher die Beratungseinrichtung mit 500 Euro im Monat.
Doch natürlich reicht dies allein nicht aus. Das Gesundheitsamt stellt aus diesem Grund den Beratungsraum im Untergeschoss kostenlos zur Verfügung. Die Krebsberatung ist aber weiterhin auf Spenden angewiesen – auch dann, wenn sich im Zuge des nationalen Krebsplans des Bundesgesundheitsministeriums zumindest eine Teilfinanzierung von Beratungsstellen durch die Krankenkassen durchsetzen sollte, macht die Psychoonkologin der Krebsberatung, Brigitte Eiben, deutlich. „Es ist Bewegung in der Debatte – das ist gut. Denn der Bedarf ist groß.“