Mülheim. Museumsleiterin Beate Reese musste 2019 kräftig umdenken: Das Programm verknüpfte Kunst, Wissenschaft und Beteiligung. 12.000 Menschen sahen es.

Ein Jahr Kunst ohne Museum – geht das? Eine positive Bilanz zieht das Museum Temporär und Kunstmuseumsleiterin Beate Reese: Gut 12.000 Menschen haben die Ausstellungen an der Schloßstraße 28 und die Führungen zur Kunst im öffentlichen Raum besucht. Vor allem der Shop konnte von der Lage an der Einkaufsmeile und den großen Schaufenstern profitieren. Der Ausweichort für das derzeit generalüberholte Museum am Synagogenplatz sei gut angenommen worden, so Reese.

Was macht eine Museumsleiterin ohne Museum?

Das Rätsel, was eine Museumsleiterin ohne aktuelles Kunstmuseum eigentlich macht, scheint damit zumindest zum Teil beantwortet: „Man ist flexibler und experimentierfreudiger“, hat Reese die Frage nicht zum ersten Mal gehört. Die Verantwortung und Sorge für die wertvollen Sammlungen sind weniger geworden, weil diese derzeit eingelagert ist. Doch das hat ganz offenkundig die Freiräume geschaffen, in die Stadt hinein zu blicken.

Das Kunstmuseumsteam hat diese Räume genutzt und etwa das große Jahresthema „100 Jahre Bauhaus“ in verschiedene Bezüge zur Ruhrstadt gesetzt. Mit der Entdeckung der spektakulären Pläne einer nie umgesetzten Bauhaus-Siedlung im Forstbachtal hat das Museum gemeinsam mit dem Baudezernat für Aufsehen gesorgt. Referent Klaus Beisiegel konnte Modellfotos und detailreiche Pläne für eine Siedlung nahe der Bergerstraße erläutern.

Bauhaus-Jubiläum brachte überraschende Entdeckungen für Mülheim

Die Pläne für die Bauhaus-Werkbundsiedlung im Forstbachtal waren schon weit fortgeschritten. Die Nazis verhinderten sie.
Die Pläne für die Bauhaus-Werkbundsiedlung im Forstbachtal waren schon weit fortgeschritten. Die Nazis verhinderten sie. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Zur Umsetzung kamen sie jedoch nie, weil die Nazis um 1930 Stunk gegen die Pläne und den damals verantwortlichen Oberbaurat Arthur Brocke machten. Brocke nahm sich aufgrund der Diffamierungen das Leben, an der Bismarckstraße 31 erinnert ein Stolperstein an ihn als Opfer des Nationalsozialismus.

„Wieviel Bauhaus ist in Mülheim“, setzte das Museum das Bauhaus-Jubiläum etwas niederschwelliger fort. Mülheimer Bürger zeigten in den Räumen an der Schloßstraße, wie die Bewegung bei ihnen Spuren in Form von Alltagsobjekten hinterließ. „Wir haben es geschafft, ,Bauhaus’ positiv vom hohen Sockel zu holen. Viele Besucher waren baff, dass etwa ganz banale WMF-Butterdosen von Bauhaus inspiriert sind“, schildert die Museumsleiterin.

An den Erfolg soll im kommenden Jahr eine weitere beteiligende Ausstellung anknüpfen: „Wie es uns gefällt“ will Kunst zeigen, die Mülheimer schätzen und selbst vorschlagen: Manches Überraschende und Unbekannte sowie einen Einblick in die persönlichen Präferenzen der Ruhrstadtbewohner verspricht sich Reese von der Aktion.

Wenn die Kunst nicht zum Betrachter kommt ...

Wenn die Kunst 2019 nicht zum Betrachter konnte, dann vielleicht umgekehrt: So führte das Museum die Besucher zu bekannten und weniger bekannten Orten der Kunst im öffentlichen Raum. Nicht nur den Hajek-Brunnen und das Ensemble von Ernst Rasche an der Kreuzung Löhberg, Schloßstraße entdeckten vor allem viele Mülheimer neu, sondern auch die Stadtsäule von Liessen und den Regenbaum von Liebsch.

Ausstellung „Antworten warten auf Fragen“ verknüpfte Kunst mit Wissenschaft: Prof. Dr. Susanne Staude (Hochschule Ruhr West) testet virtuelle Realität.
Ausstellung „Antworten warten auf Fragen“ verknüpfte Kunst mit Wissenschaft: Prof. Dr. Susanne Staude (Hochschule Ruhr West) testet virtuelle Realität. © FUNKE Foto Service | Tamara Ramos

„Mich hat gefreut, wie viele Menschen am kulturellen Erbe ihrer Stadt interessiert sind“, plant Reese eine Fortsetzung für 2020. Dann soll es ins Stadtviertel rund um die Oberstraße gehen, das aktuell in erster Linie wegen seiner Parkplatznöte in der Öffentlichkeit steht. Reese will hingegen den Blick öffnen für die Kunst, Architektur und die Konzeption des Quartiers.

Wissen schafft Kunst – und umgekehrt

Wie geht’s weiter im Kunstmuseum?

Mitte 2021 soll das Kunstmuseum am Synagogenplatz neu eröffnen. Zu planen ist allerdings jetzt schon: der Umbau und die Anbindung der ‘Palette’ zum Museumscafé, die Vergrößerung des Museumsshops und die Gestaltung des Foyers sind planerisch im vollen Gange.

Denn selbst, wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, muss vor allem die Sicherheit und das Klima durchgetestet sein, bevor die wertvollen Kunstwerke wieder einziehen können. Mit sechs bis neun Wochen rechnet Reese für den Einzug.

Eine wichtige und komfortable Neuerung wird die Digitalisierung des Museums. Ein Info-System soll den Besucher begleiten und unterstützen. Reese verspricht: „Wir wollen die Chance des Umbaus auch dafür nutzen, das Erlebnis für den Besucher zu optimieren.“

Aktuell zeigt das Museum Temporär an der Schloßstraße die Jahresausstellung Mülheimer Künstler. Führungen gibt es auch zwischen Weihnachten und Neujahr vom 27 bis 29. Dezember.

Und eine weitere Tür machte Reese auf zur Wissenschaft und Technik. Mit der Hochschule strickte das Museum eine gemeinsame Ausstellung zusammen. „Antworten warten auf Fragen“ suchte nach den Schnittstellen zwischen Utopie und Anwendungsorientierung. Die Ausstellung zeigt erste Ideen wie Filme, die man riechen können soll und virtuelle Welten, die Behinderungen vermitteln sollen. Keine großen Würfe, aber ein Auftakt, von dem beide Seiten eine Fortsetzung wünschen.

Zusammenbringen will Reese im kommenden Jahr ebenso den Westen mit dem Osten – und vielleicht auch ein schweres Mülheimer Erbe. Die fotografischen Dokumentationen der Propaganda geprägten DDR-Kunst im öffentlichen Raum von Martin Maleschka sind Ausgangspunkt, „für ein gegenseitiges Verständnis des kulturellen Erbes“, sagt Reese. Sie könnten auch Anlass werden, sich mit dem kritisch zu beschäftigen, was die NS Zeit in Mülheim hinterließ.