Mülheim. . Mal schön, mal provokant: Mülheim hat viel Kunst vor der Nase – vieles davon geht im Alltag unter. Tour des Kunstmuseums bringt sie ans Licht.
Wenn Kunst ein Spiegel der Gesellschaft ist, dann gilt das umso mehr für die Stadt an der Ruhr: Eine aufschlussreiche Tour des Mülheimer Kunstmuseums führte am Sonntagmittag von einem von Ernst Rasche gestalteten Platz über den Hajek-Brunnen und den Kurt-Schumacher-Platz auf den Kirchenhügel. Am Ende blieb die Erkenntnis: Das Verhältnis der Stadt zur Kunst scheint oft ähnlich gespalten wie das zu ihren Bewohnern.
Denn vieles an Kunst im öffentlichen Raum, was die Kunsthistorikerin Irina Lammert mit Liebe zum historischen Detail und aussagekräftigem Bildmaterial von früher erklärte, ist längst einer pragmatisch-konsumorientierten Stadtentwicklung gewichen, die selten ein Auge für Ästhetik und ihre Geschichte bewies. „Ist uns nicht eine Blickachse von der Schloßstraße auf die Ruhr versprochen worden?“, spielt eine Mülheimerin auf das neue Stadtquartier an. Für sie eher ein Riegel zur Ruhr.
Öffentliche Kunst polarisiert
Doch die Tour will den Blick für die Kunst sensibilisieren. Lammert zeigt, dass etwa der Hajek-Brunnen nur noch in Teilen das ist, was Otto Erwin Hajek 1976 für den Synagogenplatz entwarf und bauen ließ: ein platzergreifendes Gesamtkunstwerk vom Museum bis zur Schloßstraße, vom Brunnen bis zum Pflaster himmelschreiend bunt und demokratisch strukturiert – was nicht bei allen Anklang fand. „Hajek wollte anregen und aufrütteln“, erläutert die Kunsthistorikerin den gut 25 Tourgästen.
Und ebenso scheint der Platz, den der Mülheimer Künstler Ernst Rasche gestaltete, heute kaum mehr als Ort der Kommunikation, wie er 1974 an der Kreuzung Löhberg angedacht wurde. Zwischen übergroßen Blumenkübeln und pflegeleichter Pflasterung fällt er als Ensemble aus Erdkugel, plätscherndem Wasserspiel, hellen Granitsäulen und inszenierten Hügeln kaum noch auf. Geschweige denn als Verweilort.
Der Autostadt die kalte Schulter zeigen
Dabei ist auch dieses Kunstwerk im öffentlichen Raum entstanden, als die City der Autostadt die kalte Schulter zeigte zugunsten ihrer Menschen. Das war historisch: Flaneure lösten auf der Schloßstraße Blechkarawanen ab, parkende Autos verschwanden unter den Synagogenplatz. Zumindest das ist so geblieben, auch die Kübel mussten Abstand halten, nachdem Rasche sein Urheberrecht wahrnahm.
Andernfalls ließe sich etwa das Rhenag-Haus als Beispiel der markanten Architektur der 50er Jahre kaum würdigen. Oder die Figuren von 1937 am Eckbau der Löhberg-straße, die einen Arbeiter, Bauern und Schiffer zeigen. Es gibt viel Sehenswertes, das die Kunsthistorikerin aufdeckt, auch solches, das verschwunden ist, wie die Synagoge am heutigen Synagogenplatz.
Relief eines Sparschweines als Provokation
Und solche, die zum Glück verschwanden, wie das Relief eines Sparschweins, das den Eingang der früheren Sparkasse am selben Platz kennzeichnete – mit dem Gesäß zur Synagoge. Ein bewusster Affront, glaubt die Kunsthistorikerin, der die jüdische Gemeinde damals empörte. Die Mülheimer Vergangenheit und Zukunft hat Künstler Wolfgang Liesen 1986 auf seine „Stadtsäule“ am Kurt-Schumacher-Platz gepackt – vom Grundriss des Schloß Broich bis zur Einführung der Steuer. Ein paar Schritte weiter, fast versteckt, der Regenbaum von Otto-Georg Liebsch.
Ulrike und Manfred Dauksch sind 2018 aus Sachsen-Anhalt nach Mülheim gezogen und beeindruckt. Selbst die, die seit 40 Jahren hier leben, staunen: „Ich habe die meisten Stücke hundert Mal gesehen“, sagt ein Mann, „aber noch nicht kennen gelernt.“
>>Bis zum Kirchenhügel ging diese Tour. Sehenswert: Für das katholische Gotteshaus St. Mariae Geburt gestaltete Ernst Rasche 1990 ein Kreuzweg-Relief und das monumentale Kreuz hinter dem Altar.
Die nächste Kunst-Tour führt am 14. April, um 14 Uhr ins „Ruhr-Venedig“ zur Stadthalle, zum Stadtbad sowie zur Müga und zum Schloß Broich.