Mülheim. Die Bewohner des Bonifatius-Heims in Mülheim sollen hohe Nachzahlungen leisten. Einige Angehörige weigern sich. Zu Recht?
Bei den erheblichen Nachzahlungen, die den Bewohnern des Mülheimer Pflegeheims Bonifatius in Rechnung gestellt wurden, ist wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ein Verbraucherschutzverein geht derzeit davon aus, dass die Betroffenen nicht zahlen müssen, jedenfalls nicht rückwirkend.
Der Pflegeschutzbund BIVA - kurz: Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen - kennt diesen und ähnliche Fälle nachträglicher Investitionskostenerhöhungen. Sie hängen mit rechtlichen Besonderheiten in NRW zusammen. Der Verein mit Sitz in Bonn hat nach eigenen Angaben rund 1000 Mitglieder in NRW, schwerpunktmäßig im Ruhrgebiet, überwiegend Angehörige von Pflegebedürftigen. Ihnen bietet er kostenlose Rechtsberatung an.
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Wie Ulrike Kempchen, Leiterin der Rechtsabteilung bei BIVA, berichtet, haben sich bei ihr bereits Angehörige einer Bewohnerin des Mülheimer Bonifatius-Hauses gemeldet. Das Pflegeheim, das bis Ende 2019 noch von der Maternus-Gruppe betrieben wird, hatte den Senioren Mitte November Rechnungen geschickt, in denen erhebliche Erhöhungen der Investitionskosten verzeichnet sind. Pro Bewohner (Einzelzimmer) und Tag steigen sie von 22,21 auf 33,10 Euro. Dies soll rückwirkend gelten ab 1. Januar 2019.
Pro Bewohner und Tag fast elf Euro mehr
Hintergrund ist eine Änderung des Pflegegesetzes in NRW, die bereits 2015 erfolgte: Die Bewohner dürfen nur noch mit den tatsächlichen Kosten des Hauses belastet werden. Zugleich gilt seit August 2018, dass die Heime mindestens zu 80 Prozent Einzelzimmer anbieten müssen. Aus diesen Gründen mussten die Investitionskosten für die Altenpflegeheime in NRW und deren Umlage auf die Bewohner neu berechnet werden. Die Mülheimer Einrichtungen beantragen dies beim Landschaftsverband Rheinland (LVR). Auf diese Weise kam auch die Kostensteigerung bei Bonifatius zustande.
„In dieser Höhe ist sie rechtmäßig“, meint Juristin Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund. Die Zahlen seien durch den LVR geprüft worden. Grundsätzlich könnten auch rückwirkend Forderungen erhoben werden, dafür gebe es Beispiele in NRW. Der Betreiber müsse es den Betroffenen aber rechtzeitig vorher ankündigen, mindestens vier Wochen, bevor die Erhöhung in Kraft tritt.
Erhöhung muss rechtzeitig vorher angekündigt werden
Denn: Die Kostensteigerung sei auch mit einem Sonderkündigungsrecht verbunden, das die Pflegebedürftigen - zumindest theoretisch - haben. Darauf weist auch der Landschaftsverband explizit hin: Die erhöhten Investitionskosten dürfen nur dann berechnet werden, „wenn die Einrichtung die Erhöhung rechtzeitig und begründet angekündigt hat“.
Mit Blick auf das Bonifatius-Heim meint nun der Pflegeschutzbund BIVA: „Nach unserem Kenntnisstand hat es hier kein ausreichendes Ankündigungsschreiben gegeben. Wir gehen also derzeit davon aus, dass keine Zahlungspflicht besteht.“ Wenn das zutrifft, würde die Erhöhung erst vier Wochen nach einem neuen Bescheid greifen, also frühestens Anfang 2020. Der Betreiber Maternus hat sich auf Anfrage noch nicht zu der Problematik geäußert.
Tochter verweigert die Nachzahlung
Eine der Betroffenen ist Waltraut Klein, deren mittlerweile verstorbene Mutter bis 22. Oktober im Bonifatius-Haus gelebt hat. Die Tochter soll fast 2900 Euro nachzahlen, weigert sich aber und hat dies nach eigener Aussage dem Altenheim auch schon schriftlich mitgeteilt. „Eine Ankündigung der Erhöhung soll den Bewohnern angeblich vor Jahren mitgeteilt worden sein“, so Waltraut Klein. Das Schreiben sei aber derzeit nicht auffindbar.
Die rechtlichen Grundlagen
Rechtsgrundlage, auf die es hier ankommt, ist das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG). § 9 regelt die Entgelterhöhung: Sie ist zulässig, wenn sich die bisherige Berechnungsgrundlage verändert, wie hier bei den Investitionskosten für Altenpflegeheime.
Laut § 9 Absatz 2 muss der Unternehmer dem Verbraucher die beabsichtigte Erhöhung schriftlich mitteilen und begründen. Er muss die Positionen benennen, für die sich Kostensteigerungen ergeben, und die geplanten neuen Entgelte beziffern.
Der Verbraucher muss frühestens vier Wochen nach Zugang dieser schriftlichen Begründung die höheren Preise zahlen.
Der Pflegeschutzbund BIVA verweist ergänzend auf den Fall „Friedensheim“ in Haan: Die Seniorenwohnanlage, die von der Theodor Fliedner Stiftung betrieben wird, hatte die Investitionskosten rückwirkend ab September 2017 erhöht. Ebenfalls ohne rechtzeitige Ankündigung, wie die Betroffenen meinen. Dort hat sich sogar eine Interessengemeinschaft gegründet. Um eine einvernehmliche Lösung, möglichst ohne Klage vor Gericht, wird derzeit noch gerungen.
„Die Einrichtungen haben ja tatsächlich Anspruch auf dieses Geld“, sagt die Leiterin der BIVA-Rechtsabteilung, „sie müssen nur ihre Hausaufgaben machen.“