Mülheim. Die Fliedner-Stiftung hat mit einem Sommerfest im Fliedner Dorf ihr Jubiläum gefeiert. Hier erzählen Menschen, warum das Dorf so besonders ist.
Selbeck am Samstag. Es gibt was zu feiern. Die Theodor-Fliedner-Stiftung wird 175. Ihr Dorf wird zur turbulenten Kleinstadt.
„Wir haben dem Ordnungsamt 3500 Besucher gemeldet“, verrät der junge Mann, der im Dorfrathaus die Verzehrgutscheine ausgibt. Was bedeutet das Fliedner-Dorf Menschen, die hier leben und arbeiten? Abseits der turbulenten Festmeile nehmen sich einige von ihnen Zeit, um über ihre Dorfgeschichte zu sprechen.
Im Dorf spielt die Hektik der Stadt keine Rolle
Zum Beispiel Elli Schott: „Als Vorsitzende der Karnevalsgesellschaft Röhrengarde darf ich das Dorfleben seit 1992 mitgestalten, indem ich mit meinem Karnevalsfreunden hier in jeder Session ein Karnevalsfest organisiere, das bei allen Dorfbewohnern gut ankommt. Und seit einem halben Jahr bin ich darüber hinaus mit dem Dorf verbunden, weil meine Mutter hier lebt. Für mich ist das Dorf eine Oase der Menschlichkeit. Hier spürt man Herzenswärme.“
Die Architektur der Häuser mache das Dorf gemütlich, so Elli Schott. „Wenn ich hierher komme, habe ich immer das gute Gefühl, dass ich jetzt die Hetze der Stadt hinter mir lassen kann. Auch Menschen mit Handicap können sich hier ganz Angst frei bewegen, weil sie sicher sein können das hier einer auf den anderen achtet.“
Vorstand will den Bewohnern ein glückliches Leben bieten
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Carsten Bräumer hat sein Arbeitsplatz im Dorf und trägt als Vorstandsvorsitzender die Gesamtverantwortung für die Theodor-Fliedner-Stiftung. Er sagt: „Gesetze sind wichtig. Aber der Mensch ist wichtiger. Wir schauen hier nicht zuerst auf das Sozialgesetzbuch und auf die Handicaps der Bewohner, sondern auf den Menschen und seinen Bedarf.“
Man habe im Blick, was Menschen brauchen, um ihr Leben so zu gestalten, dass sie damit glücklich werden. Dafür ist Entwicklung notwendig. Das Dorf stehe für diese Entwicklung. „Wir dürfen uns nicht auf das fixieren, was wir haben und sind. Wir dürfen den Status quo nicht einfrieren, sondern müssen jeden Tag daran arbeiten, ihn zeitgemäß zu gestalten“, so Bräumer.
Bräumer: Begegnungen sind das Wichtigste
Standorte und Immobilien seien für ihn nicht so wichtig wie „die Begegnungen und Lebensperspektiven, die hier im Dorf und dann anderen Orten der Stiftung ermöglicht werden. Was mich am Dorf begeistert, ist das pure Leben, das hier genauso wie anderswo, mit all seinen Festen und Höhepunkten, aber auch mit seinen entspannenden und stressigen Alltäglichkeiten stattfindet.“
Auch Manfred Rixecker hat enge Bindungen zum Dorf: „Mein behinderter Bruder hat bis zu seinem Tod im Februar 2019 hier im Dorf gelebt. Hier hat er sich wohl gefühlt und hier habe ich erlebt, dass der Mensch Im Vordergrund steht. Deshalb engagiere ich mich gerne ehrenamtlich mit meiner Frau Marie Luise im Vorstand des Förder-Vereins für das Dorf.“
Förderverein sorgt mit Projekten für Unterstützung
Zuletzt konnten Rixecker und andere mit Hilfe eingeworbener Spenden einen Tagesausflug ins Dortmunder Fußballmuseum organisieren, von dem die 30 Dorfbewohner, die dabei waren, noch heute schwärmen.
„Das ist nur eines von vielen unserer Projekte“, sagt Rixecker. „Regelmäßig laden wir Bürgergruppen ein, um ihnen zu zeigen, wie hier gelebt und gearbeitet wird. Das nächste Projekt, das auf der Agenda des Fördervereins steht, ist ein Rollstuhlparcours. „Den werden wir in Kürze mit dem Verein für Bewegungsförderung und Gesundheitssport als Trainingsmeile für die auf einen Rollstuhlbereich angewiesenen Dorfbewohner aufbauen.“
Ganz normal: Sich mal in der Nachbarschaft zum Kaffee einladen
Friedhelm Tissen leitet den Wohnbereich für Menschen mit Behinderung und sagt: „Wir setzen hier jeden Tag ganz praktisch die UN-Konvention für die Rechte der Menschen mit Handicap um, indem wir ihnen eine ganz normale Teilhabe am Leben ermöglichen.“ Hier erlebe man die Fähigkeit, offen füreinander zu sein und offen für das, was das Leben bringe.
„Wenn sich Menschen mit geistiger Behinderung bei ihrem Spaziergang durchs Dorf mal im Garten ihrer Nachbarn niederlassen und sich dort ganz selbstverständlich auf eine Tasse Kaffee und einen Plausch einladen, ist das ganz normal und regt niemanden auf“, erzählt Tissen.