Mülheim. Seit fünf Jahren können Schwangere ihr Kind anonym zur Welt bringen. Mülheimer Krankenhaus lobt die Praxis, die sicher sei für Mutter und Kind.
Seit fünf Jahren können werdende Mütter, die das Baby nicht behalten wollen oder können, anonym gebären. Die so genannte „vertrauliche Geburt“ wird von Frauen in schwierigen Situationen auch in Mülheim wahrgenommen. Ein bis zwei Fälle gibt es im Jahr auf der Geburtsstation im Evangelischen Krankenhaus (EKM).
Gesetzlich geregelt wurde im Jahr 2014, dass Schwangere in Notsituationen geschützt und medizinisch betreut entbinden können. In Mülheim lobt die Geburtsstation in der Frauenklinik am Evangelischen Krankenhaus, wie die vertraulichen Geburten gehandhabt werden. „Das ist in Mülheim sehr gut organisiert“, heißt es im EKM, das von ein bis zwei Fällen im Jahr spricht. „Es ist eine gute Lösung. Viel sicherer für Mutter und Kind als eine Babyklappe“, sagt ein Oberarzt der Frauenklinik. „Beide sind dadurch gut betreut.“
Frauen bringen ihr Kind unter Pseudonym zur Welt
Werdende Mütter im fortgeschrittenen Stadium, die zum Beispiel eine Schwangerschaft monatelang verheimlicht oder gar nicht bemerkt haben, finden Unterstützung bei einer der fünf Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in der Stadt Mülheim. „Die Frauen gebären unter Pseudonym“, sagt Irma Chen von der Adoptionsvermittlungsstelle der Stadt. „Die Frauen vertrauen sich einer Person in der Konfliktberatungsstelle an, das ist ausreichend.“
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In der Beratungsstelle für Schwangerschaftskonflikte der Diakonie sind Sabine Boeger und Karin Jaesch-Kötter vorbereitet auf Schwangere in einer solchen Ausnahmesituation. „Wir als Beratungsstelle sind die Steuernden bei dem System“, erklärt Jaesch-Kötter. In einem ersten Gespräch mit der Frau werden Möglichkeiten und Hilfen für Mutter und Kind besprochen. Etwa auch die, das Neugeborene nicht anonym zur Adoption freizugeben. Trifft die Schwangere die Entscheidung für eine vertrauliche Geburt, so betreuen und beraten die Fachfrauen die Mutter, solange diese es möchte: bei der gynäkologischen Betreuung, im Krankenhaus, aber auch über die Geburt hinaus.
Auch die künftigen Adoptiveltern brauchen Unterstützung
Kostenlose Hotline für Hilfesuchende
Seit 2014 gibt es die gesetzlichen Regelungen zur vertraulichen Geburt. Seither gibt es auch ein kostenloses Hilfetelefon für verzweifelte Schwangere, das unter der Rufnummer 0800 40 40 020 rund um die Uhr erreichbar ist. Die Mitarbeiterinnen an der Hotline sprechen 17 Sprachen und vermitteln die Ratsuchenden an die lokalen Schwangerschaftsberatungsstellen.
Bundesweit sind im Jahr 2014 beim BAFzA 65 Herkunftsnachweise nach einer vertraulichen Geburt gespeichert worden. 2018 warfen es schon 121.
„Wir als Beraterinnen sind die einzigen, die den Namen der Frau erfahren“, sagt Karin Jaesch-Kötter. „Die Frauen können sich hundertprozentig auf uns verlassen.“ Weder das Jugendamt noch das Krankenhauspersonal erfahren die Identität der Mutter, die den Vornamen des Kindes vorschlagen kann, wenn sie das möchte. In der Geburtsurkunde kommt vor der Adoption als Nachname des Kindes das Pseudonym der Mutter, erklärt Irma Chen.
Die Adoptionsvermittlungsstelle hat bis zur vertraulichen Geburt bereits geeignete Adoptiveltern auf der Liste. Wenn es sich nicht um einen planbaren Kaiserschnitt handelt, meldet das Krankenhaus Irma Chen das Neugeborene, das zur Adoption bestimmt ist, sobald es auf der Welt ist. „Ich rufe dann die passenden Adoptiveltern ad hoc an und sage ihnen: Wir treffen uns im Krankenhaus.“
Ein hoch emotionaler Moment sei das immer, sagt Chen. Die Adoptiveltern werden stationär im Krankenhaus aufgenommen. „Auch die künftigen Adoptiveltern brauchen ja Unterstützung“, so eine EKM-Sprecherin. Müssen Füttern und Wickeln vielleicht erst lernen. „Die Adoptiveltern haben aber keinen Kontakt zu der leiblichen Mutter.“
Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben übernimmt die Kosten
Die Beraterinnen der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen füllen einen Herkunftsnachweis aus, der den echten Namen der Mutter enthält. Dieses Formular bekommt das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA). Das Amt übernimmt auch die Kosten der vertraulichen Geburt. Sabine Boeger verweist darauf, dass eine Frau ihre Entscheidung auch rückgängig machen kann, wenn sie das nach der Geburt möchte.
Nach 16 Jahren kann ein vertraulich geborenes Kind seinen Herkunftsausweis einsehen, so lange wird den Müttern Anonymität garantiert. Über die Gründe der Mutter steht im Herkunftsausweis nichts. Die Entscheidung gegen das Kind dürfte keiner Frau leicht fallen. Irma Chen hat einen Brief in Verwahrung, den sie auf Wunsch der leiblichen Mutter dem vertraulich geborenen Kind übergeben soll, wenn es 15 Jahre alt sein wird.