Mülheim. . Die Staatsanwaltschaft nimmt auch den aktuellen Bericht der Mülheimer Rechnungsprüfer zum Anlass für Vorermittlungen. Die Politik wappnet sich.
Die vom Rechnungsprüfungsamt festgestellten Unregelmäßigkeiten bei Geschäften der Sozialagentur mit der Paritätischen Initiative für Arbeit und dem Diakoniewerk Arbeit & Kultur beschäftigen nun auch die Duisburger Staatsanwaltschaft. Eine Behördensprecherin bestätigte auf Anfrage dieser Zeitung, dass die Staatsanwaltschaft nach der Berichterstattung dieser Redaktion prüfe, „ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten bestehen“.
Die Rechnungsprüfer haben in ihrem Bericht mutmaßlich gravierende Mängel in der Projektabwicklung der Sozialagentur festgestellt. Der Bericht ist am 14. Juni zur Debatte im nicht öffentlich tagenden Rechnungsprüfungsausschuss gestellt. Zuvor wird er aber wohl von der Politik im Hauptausschuss thematisiert.
Rechnungsprüfer: Von Diakoniewerk wäre mindestens eine Viertelmillion Euro zurückzufordern
Der Bericht listet nicht nur Mängel in der intransparenten Auftragsvergabe an die Sozialfirmen auf. Mangelhaft habe die Sozialagentur darüber hinaus kontrolliert, ob abgefragte Leistungen sowohl in der Quantität als auch in der Qualität von der Vertragspartner erbracht worden sind. Der Bericht gipfelt in der Feststellung, dass die Sozialagentur dem Diakoniewerk Arbeit & Kultur für 33 Projekte im Jahr 2018 womöglich mindestens eine Viertelmillion Euro zu viel gezahlt hat. Das Geld sei zurückzufordern, so die Rechnungsprüfer.
Die Stadt will die möglichen Rückzahlungen von externen Wirtschaftsprüfern validieren lassen. Den zwei betroffenen Sozialfirmen und die Sozialagentur waren zuletzt Fristen gesetzt worden, zur Aufklärung beizutragen. Die Frage straf- und dienstrechtlicher Konsequenzen soll im Anschluss geklärt werden, sagte Rechtsdezernent Frank Steinfort zuletzt.
Beamtenrecht: Nur grob fahrlässiges Handeln oder Vorsatz werden sanktioniert
Wobei er schon darauf hinwies, dass das Beamtenrecht Mitarbeiter insofern schütze, dass ihnen, wenn schon nicht Vorsatz, doch zumindest grob fahrlässiges Handeln nachgewiesen werden müsse, um sie zur Rechenschaft ziehen zu können. Erinnerungen werden wach an den Skandal um die Millionenverluste mit den Mülheimer Wetten auf Zinsen und Währungen. Hier hatte sich das Rechtsamt schützend vor die Kämmerer Bultmann und Bonan gestellt: Grob fahrlässiges Verhalten sei ihnen nicht zur Last zu legen, wurde seinerzeit gebetsmühlenartig wiederholt, obwohl etwa in Pforzheim der Oberbürgermeister in gleicher Sache vor Gericht gezogen wurde.
Vor der politischen Debatte in den Ausschüssen positionieren sich die Fraktionen und Gruppen bereits. Nach den Grünen, der CDU und dem BAMH stellten zuletzt die Mülheimer Bürgerinitiativen einen Antrag für den Sozialausschuss am 17. Juni. Darin fordern sie, dass die dynamische Anpassung der Zahlungen an die Wohlfahrtsverbände zunächst auf Eis gelegt wird, bis die aktuell zur Rede stehenden Unregelmäßigkeiten bei Vertragsabwicklungen aufgeklärt sind.
MBI will Zahlungen an die Wohlfahrtsverbände in Teilen einfrieren lassen
Das Rechnungsprüfungsamt habe wiederholt Mängel angemahnt, so die MBI. „Um zu verhindern, dass hier ein noch größerer finanzieller Schaden für die Stadt sowie hohe Rückforderungen an die Wohlfahrtsverbände entstehen, ist es unabdingbar, die Zahlungen auf dem momentanen Stand einzufrieren, bis die Unregelmäßigkeiten im Sozialbereich aufgeklärt und beseitigt sind“, so Thomas Grell, MBI-Sprecher im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales.
Ein entschlossenes Handeln der Stadtspitze fordert die CDU ein. Die aktuellen Nachrichten aus der Stadtspitze über den Umgang mit den Prüfberichten zur Sozialagentur zeigten, dass das Vertragscontrolling jetzt entschlossen auch im Sozialdezernat vorangetrieben werde, so der finanzpolitische Sprecher Heinz Borchardt. Der Verwaltungsvorstand sei aber aufgefordert zu dokumentieren, wie er ein deutlich verbessertes Vertragscontrolling zu installieren gedenke. Das Handeln sei öffentlich nachvollziehbar zu machen.
CDU warnt vor „Profilierungssucht einzelner Fraktionen“
Die CDU-Fraktion warnt allerdings vor „unangemessener Profilierungssucht einzelner Fraktionen und Wählergemeinschaften“. Sie schreckten in unverantwortlicher Weise nicht davor zurück, städtische Vertragspartner bei den freien Trägern und externen Dienstleistern unter einen Generalverdacht zu stellen, obwohl die abschließenden Prüfungsergebnisse des Rechnungsprüfungsamtes und der eingeschalteten externen Prüfer noch nicht vorlägen. „Aufklärung ja, aber bitte mit Augenmaß, Besonnenheit und Sorgfalt“, so Borchardt.
Eine „umfassende Aufklärung in Sachen Geldverschwendung durch zumindest nachlässiges Verwaltungshandeln“ forderte noch einmal die Fraktion des Bürgerlichen Aufbruchs. Es reiche nicht, über die Vorgänge bei der Sozialagentur hinter verschlossenen Türen im Rechnungsprüfungsausschuss zu diskutieren, so Fraktionschef Jochen Hartmann. „Wer seinen Bürgern eine unverhältnismäßige Grundsteuererhöhung auferlegt, der muss Cent für Cent Rechenschaft darüber abgeben, wie er mit den öffentlichen Mitteln in der Vergangenheit umgegangen ist.“
BAMH fordert Auflistung aller Verträge ab dem Jahr 2000
Die BAMH-Fraktion fordert eine Auflistung aller Verträge seit 2000, die die Verwaltung mit Dienstleistern abgeschlossen hat. Das Rechnungsprüfungsamt müsse auch personell in die Lage versetzt werden, die Mammutaufgabe einer Prüfung dieser Verträge zu stemmen.