Mülheims OB Scholten wollte Kämmerer Mendack die Zuständigkeit für die Beteiligungsholding entziehen. Die Rechnung ist ohne die Politik gemacht.
Ein Paukenschlag im Rathaus: Der stark in der Kritik stehende Oberbürgermeister Ulrich Scholten (SPD) will Kämmerer Frank Mendack (SPD) die Zuständigkeit für die Beteiligungsholding entziehen, in der sämtliche Stadttöchter organisiert sind. Die Rechnung hat er aber ohne die Politik gemacht. Die startete eine Gegeninitiative.
Am Donnerstagabend hatte Scholten Vertreter von Ratsfraktionen und -gruppen zum Gespräch geladen, direkt im Anschluss ließ er seine Entscheidung vom Presseamt verkünden: Er wolle die Wirtschaftsaktivitäten bei sich bündeln, deshalb ziehe er die Zuständigkeit für die Beteiligungsholding in sein Referat ab.
Scholten traf Entscheidung im Alleingang
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Scholten begründete seinen Schritt als Konsequenz aus der fortwährenden Kritik insbesondere aus der Wirtschaft, dass die Themen Wirtschaft und Arbeit in der Verwaltung nicht als wesentliches Zukunftsthema organisiert seien. Der Unternehmerverband hatte ein Zukunftsdezernat Wirtschaft gefordert und jüngst dem OB erhebliche Führungsschwäche vorgeworfen, weil dieser bei der Erstellung des Masterplans Industrie und Gewerbe den Streit zwischen Wirtschaftsdezernent und Wirtschaftsförderer nicht in eine gemeinsame Richtung gelenkt hatte.
Nun verkündete Scholten im Alleingang, ohne Absprache oder Vorankündigung im Verwaltungsvorstand, seinen festen Willen zum organisatorischen Umbau. Kämmerer Mendack hat er erst später per SMS informiert. Der OB begründete das mit dienstlichen Verpflichtungen, die ihm keine Zeit gelassen hätten, den Kämmerer vorab zu informieren. Mendack selbst war am Freitag kurz angebunden: „Es gehört nicht zu meinen Aufgaben, das zu kommentieren.“
Mendack machte OB-Affäre 2018 öffentlich
Die Ratspolitik präsentierte sich am Freitag einhellig entsetzt. Der OB-Vorstoß sei überraschend, nicht zielführend und wohl eher ein „Racheakt“ gegen Mendack, hieß es unisono seitens der Fraktionsspitzen.
OB-Vorstoß erntet massive Kritik der Ratsfraktionen
Die Kritik auf die Initiative des OB, die Zuständigkeit für die Beteiligungsholding an sich zu ziehen, stößt auf massive Kritik. Das sagen die Chefs der Ratsfraktionen und der Unternehmerverband.
Wenig verwunderlich, dass BAMH-Fraktionschef Jochen Hartmann, der schon früh im Jahr 2018 den Rücktritt Scholtens gefordert hatte, in der Wortwahl am schärfsten formulierte. Es sei ein „absolutes Unding“, „üble Rache“. Im Stil agiere der OB „unterirdisch“. Scholtens Begründung, in Wirtschaftsfragen nun die Zügel in die Hand nehmen zu wollen, sei „lächerlich“. In den vergangenen Jahren habe der OB in Wirtschaftsfragen „nichts geleistet“.
Spliethoff (SPD) wirft OB schlechte Arbeitshaltung vor
SPD-Fraktionschef Dieter Spliethoff drückte seine „Überraschung“ aus. Er zweifelt an einer wirtschaftspolitischen Intention Scholtens, sieht auch „persönliche Motive“ hinter dem Vorhaben. Spliethoff: „Wir haben in der Verwaltung ein großes Problem. Sie ist ohne Führung.“ Spliethoff ließ durchklingen, dass der OB in der Vergangenheit weder inhaltlich noch zeitlich engagiert in verschiedenen Aufsichtsgremien zu Werke gegangen sei, insbesondere auch bei der Ruhrbahn. So wäre es konsequent, wenn der OB sein Mandat bei der Ruhrbahn niederlege.
Die Fraktionschefs von CDU, Grünen, MBI und FDP äußerten am Freitag auch ihr Unverständnis gegenüber Scholten. Christina Küsters (CDU) bezweifelte, dass die Zuständigkeit für die Beteiligungsholding die Stellschraube sein kann, um den Wirtschaftsstandort zu stärken. Im Übrigen, so Küsters übereinstimmend mit Politikern anderer Couleur, sei die Zusammenarbeit zwischen Kämmerer und Beteiligungsholding bisher „gut gelaufen“.
Grüne haben Zweifel an der Führungsqualität
„Wir waren fassungslos“, fasste Tim Giesbert (Grüne) die Ereignisse zusammen. Er erinnerte daran, dass die Zuständigkeit für Wirtschaftsfragen ohnehin eigentlich beim OB angedockt sei, über Scholtens Rolle als Aufsichtsratsvorsitzender der Wirtschaftsförderung. „Wir alle haben ihn in den vergangenen Jahren auf diesem und anderen Themenfeldern vermisst.“ Giesbert äußerte, den Glauben daran verloren zu haben, dass der OB seiner Führungsrolle künftig noch mal gerecht werden könne. Der OB-Vorstoß sei wohl allein von persönlichen Gründen getrieben.
Auch FDP-Fraktionschef Peter Beitz sieht eine „Retourkutsche“. Im Aufsichtsrat der Beteiligungsholding würden nicht die Wirtschaftsfragen besprochen, um die es in der Stadt zu gehen habe. „Wenn der Verwaltungsvorstand sich im Sandkasten gegenseitig die Förmchen stiehlt, kommen wir nicht weiter.“
Wirtschaftssprecher: OB hat uns missverstanden
„Eine Privatfehde ist für unsere Stadt eine Katastrophe“, verwahrte sich Hanspeter Windfeder vom Unternehmerverband dagegen, dass Scholten seine Entscheidung damit begründete, auf Forderungen der Wirtschaft einzugehen. „Da hat er uns wohl missinterpretiert, missverstanden“, so der Sprecher der Wirtschaft. „Es geht darum, den Wirtschaftsstandort für die nächsten zehn Jahre zu entwickeln, die Abwärtsspirale geht immer schneller nach unten. Das kann eben nicht der OB machen. Das ist ein Sieben-Tage-, ein 24-Stunden-Job.“
Es gehe darum, über Firmen-Ansiedlungen Einnahmen für die Stadt zu erzielen. Auch sei in der Verwaltung viel zu tun, damit investitionsbereiten Unternehmen „nicht ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen werden“. Der OB setze mit seiner jetzigen Initiative am falschen Hebel an, zumal die Beteiligungsholding in ihrer jetzigen Struktur gut aufgestellt sei. Der OB möge sich lieber etwa darum kümmern, den Masterplan Industrie und Gewerbe „in die richtige Richtung zu lenken. Da hat er Einfluss, kümmert sich aber nicht.“
Politik setzt mit Antrag auf doppelte Abstrafung
Es folgte am Freitagnachmittag ein Antrag für den Stadtrat. CDU, Grüne, Bürgerlicher Aufbruch und FDP setzen auf doppelte Abstrafung. Sie wollen Scholten nicht nur den Zugriff auf die Gesellschafterversammlung der Beteiligungsholding entziehen, sondern ihm als „Empfehlung“ überdies nahelegen, sich aus dem Aufsichtsrat der Ruhrbahn zurückzuziehen. Auch das soll der Kämmerer machen.
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Während die MBI sich trotz Kritik an der OB-Initiative „aus dem Kinderkram raushalten“ will, weil die Stadt wichtige Probleme zu lösen habe, kündigte die SPD Zustimmung an. „Falls OB Scholten glaubt, mit der Übernahme der Zuständigkeit für die Beteiligungsholding seine seit langem kritisierte Führungsschwäche nicht nur in Fragen der Wirtschaftspolitik zu beseitigen, hat er sich das falsche Gremium ausgesucht“, so Fraktionschef Dieter Spliethoff. Für die Aufgabe habe der Kämmerer die höhere Kompetenz.
OB enttäuscht: Für Politik ist alles, was ich mache, kritikwürdig
Der OB zeigte sich enttäuscht: „Es ist offensichtlich so: Ob ich eine Aktivität setze oder nicht – es ist für die Politik kritikwürdig.“ Näher an die Beteiligungsholding heranzurücken, sei seiner Meinung nach ein erster Schritt, den Forderungen nach Bündelung der Wirtschaftskompetenz in der Verwaltung zu entsprechen. Er wisse, dass noch mehr nötig sei, weil die Verwaltung in der Vergangenheit in wirtschaftlichen Fragen nicht geschlossen agiert habe.
>> STICHWORT: DIE BETEILIGUNGSHOLDING
Die 2002 gegründete Beteiligungsholding bündelt alle städtischen Gesellschaften und Beteiligungen. Ihr Geschäftsführer ist Hendrik Dönnebrink.
Mehr als 30 Gesellschaften und Beteiligungen sind unter dem Dach der Beteiligungsholding organisiert, folgend die wichtigsten: Medl, Ruhrbahn, RWE, Mülheimer Entsorgung, SWB, Mülheim & Business, Mülheimer Stadtmarketing und Tourismus, Theater an der Ruhr, Mülheimer Seniorendienste.