Mülheim. . Wirtschaftsförderung, Jobcenter und Arbeitsagentur gehen gegen Langzeitarbeitslosigkeit vor, thematisieren Digitalisierung und Fachkräftemangel.
Enger als bislang wollen ab sofort die Arbeitsagentur Mülheim/Oberhausen, die Wirtschaftsförderung Mülheim & Business und das hiesige Jobcenter zusammenarbeiten. Mit der Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung am Mittwoch im Haus der Wirtschaft machten sie deutlich, was im Fokus des Miteinanders stehen soll: Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, Fachkräftesicherung, Digitalisierung und Qualifizierung. Auch zuvor habe es Gemeinsames gegeben, so Jürgen Schnitzmeier, Geschäftsführer Mülheim & Business, „jetzt aber systematisieren und intensivieren wir die Zusammenarbeit“.
Am Beispiel von Real im Hafen
Im Idealfall werden Menschen gar nicht erst arbeitslos, sondern finden auch in schwieriger Lage einen alternativen Weg für sich. Am Beispiel von Real im Hafen, wo Ende 2019 die Lichter ausgehen sollen und aktuell Beschäftigte Angst vorm Absturz haben, erläuterte Jürgen Koch, Leiter der Arbeitsagentur, was die Kooperation bringen kann. Im Team verfüge man schneller über die relevanten Informationen, könne effektiver auf besorgniserregende Entwicklungen reagieren. Bei Real hieße das, unter anderem, Logistiker beizeiten so zu qualifizieren, dass sie auch für Chefs von Unternehmen anderer Branchen in der Umgebung interessant werden.
17 000 Arbeitsplätze in Industrie und produzierendem Gewerbe gibt es in Mülheim, ein hoher Wert. 20 Prozent davon sind laut Schnitzmeier durch die Digitalisierung gefährdet. So sei es heute schon möglich, den herkömmlichen Job des Industriemechaniker zu 80 Prozent durch Maschinen zu ersetzen. Man müsse schleunigst umdenken, der Job brauche „eine andere inhaltliche Ausrichtung“, so Koch. Man müsse Aus- und Weiterbildungen hinterfragen, überlegen, was zeitgemäß ist, was umgestrickt werden muss. Was fortschreitende Automatisierung bedeutet, wie man reagieren sollte, auch damit wollen sich die Partner also beschäftigen. Eines sei schon klar: „Lebenslanges Lernen wird wichtiger“, sagte Schnitzmeier. Industriemechaniker könnten sich – ähnlich wie andere – nicht auf einmal Erlerntem ausruhen.
Mittelstand hat zusehends Nachwuchsprobleme
Auch das Thema Vorbereitung und Vermittlung von Fachkräftemangel sei geeignet für gemeinsames Nachdenken: Große Namen wie Siemens oder Thyssenkrupp zögen weiterhin, doch der Mittelstand habe zusehends Nachwuchsprobleme, so Schnitzmeier, der „gute Kontakte zu rund 5700 Bestandsunternehmen und Gründern“ ins Team einbringen will. Von diesem Pfund möchte auch Anke Schürmann-Rupp, Leiterin des Jobcenters, profitieren. Ihre Behörde hat das Schicksal von 10.000 Langzeitarbeitslosen im Blick. Eine passgenaue Vermittlung sei für die Vermittlung elementar. Qualifizierungen der Arbeitsagentur könnten ebenfalls helfen.
Gravierende Veränderungen seien nötig, um die Stadt fit für anstehenden Herausforderungen zu machen. Für Koch stellt die Hochschule Ruhr West mit ihren Absolventen ein Riesenpotenzial da: „Es muss uns gelingen, die HRW zum Marktplatz hiesiger Unternehmen zu machen.“ Auch das sei ein Thema, das man am besten gemeinsam angehe.
Koch: Man muss vieles hinterfragen
>> Die Kooperation soll auch von anregenden Diskussionen leben, vom Hinterfragen bestehender Vorgehensweisen. Im Austausch sollen Lösungswege für die gemeinsamen Herausforderungen gefunden werden. Dass sich die drei Vertreter der Institutionen nicht mit Absichtserklärungen zufrieden geben und Althergebrachtes tatsächlich auf den Prüfstand stellen wollen, zeigte sich schon beim Gespräch am Mittwoch.
Zwischen Jürgen Koch und Anke Schürmann-Rupp entwickelte sich eine lebhafte Unterhaltung über die Frage, ob es weiter sinnvoll ist, dass Jobcenter und Arbeitsagentur je einen eigenen Arbeitgeberservice haben. „Man muss vieles hinterfragen“, so Koch.