Mülheim. . Bei Siemens verlieren Hunderte ihre Jobs. Kirsten Kröber aus Dümpten ist eine von vielen, die den Konzern mit Abfindung verlassen.

Am 30. September ist es soweit: Dann wird Kirsten Kröber auch ein Stück Familiengeschichte abschließen: Vier Generationen haben bei Siemens, vormals Kraftwerk Union, ihren Lebensunterhalt verdient. Damit ist in gut acht Monaten Schluss, wenn Kirsten Kröber mit einer Abfindung geht. Endgültig. Es wird kein Abschied ohne Wehmut, ohne Frust. Aber da ist auch die Vorfreude auf „ein neues Leben“.

Erst 57 Jahre alt wird Kröber sein, wenn sie im Herbst vorzeitig ihren Job als Disponentin für die Niederdruckschaufel aufgibt. „13,2 Prozent von der Regelrente werden abgezogen“, sagt die ausgebildete Technischer Zeichnerin, die in ihre Ausbildung 1980 noch bei der Kraftwerk Union gestartet ist. Die Abfindung muss das kompensieren. Böse Überraschungen eingeschlossen: Etwa wenn sie herangezogen wird, um den Pflegeplatz für Angehörige mitzufinanzieren. „Wenn alle Stricke reißen, wird das Haus verkauft.“

„Das Arbeiten hier macht keinen Spaß mehr“

Kirsten Kröber ist nicht Teil des aktuellen Stellenabbau-Programms, sie hat ihren Aufhebungsvertrag in der vorangegangen Welle im Februar 2016 unterschrieben. Die Dümptenerin macht keine Umschweife, sie trägt ihr Herz auf der Zunge: „Das Arbeiten hier macht keinen Spaß mehr.“ Früher habe man in Kompetenzzentren eng zusammengearbeitet, heute gebe es zig Abteilungen, die alle ihre eigenen Ziele verfolgten. Produktionsverlagerungen ins billige Ausland, zunehmender Druck, weniger Zusammenhalt, immer nur: Gewinne, Gewinne, Gewinne... Kröber fühlt sich in der Siemens-Welt nicht mehr geborgen. „Geld ist nicht alles. Wenn mein Chef zu mir kommt und mir auf die Schulter klopft, bringt das mehr.“ Kröber arbeitet im Industriepark an der Wiesentraße, ihr Abteilungsleiter am Hafen. „Den hab ich hier kaum mal gesehen.“

Ein Jahr hat Kröber mit sich gerungen, für sich zu akzeptieren: Es ist Zeit zu gehen. Damals plagen sie auch gesundheitliche Probleme: „Bluthochdruck, nur auf der Firma, teilweise 205 zu 105 in Besprechungen. Stressbedingt. Neurodermitis und Schuppenflechte.“ Hinter jedem Satz, den Kröber spricht, steht ein Ausrufezeichen. „Ich träume von der Scheiße! Ich musste den Schlussstrich ziehen! Irgendwann muss die Gesundheit vorgehen!“

Kröber will „geordnete Verhältnisse“ hinterlassen

Mit zehn Kollegen sitzt Kröber im Büro an der Wiesenstraße. Fünf davon mit Aufhebungsvertrag. Kröber will „geordnete Verhältnisse“ hinterlassen, gerne ihr Wissen übergeben. „Was sie dann damit machen, ist mir egal.“

Ihr Mann war auch bei Siemens, hat die Gehäusefertigung gesteuert. „Auch outgesourct“, sagt Kröber, ihr Blick ermahnend. Ein Wohnmobil steht vor der Tür, eine Algarve-Tour ist geplant. „Dann sind wir nur noch weg, sofern es der Gesundheitszustand der Eltern zulässt“, sagt die 56-Jährige. Wäre sie jung, würde sie auswandern. Die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland sagt ihr so wenig zu wie die bei ihrem langjährigen Arbeitgeber. Zu viel Egoismus, zu wenig soziale Absicherung – Schweden und Norwegen hat Kröber sympathischer, solidarischer kennen gelernt.

Das Wohnmobil wartet. „Ich zähle schon die Netto-Arbeitstage rückwärts.“ 136 Mal noch einstempeln. Kröbers Mann trifft sich alle vier Wochen mit Ex-Kollegen zum Frühstück. Sie will den Schlussstrich: „Ich werde nichts vermissen. Dafür hat man mich zu viel geärgert.“

>> NACH DER AUSBILDUNG ERST IM BLAUMANN

1980 begann Kirsten Kröbers Ausbildung zur Technischen Zeichnerin bei der Kraftwerk Union. „Wir waren der erste Jahrgang, der nicht komplett übernommen wurde“, erklärt sie, warum sie danach zunächst als Hilfsarbeiterin in der Werkzeugschleiferei den Blaumann anzog.

Noch 1984 wechselte sie in die Fertigungssteuerung der Schaufel-Abteilung, bis die Fertigung 2013 nach Ungarn verlagert wurde. Bei der Niederdruckschaufel ging es für sie weiter, bis zur Verlagerung nach Görlitz.