Mülheim. . Der eine forscht zur NS-Zeit, der andere arbeitet mit Geflüchteten – das verbindet. Die Preisverleihung führte auch ins Mülheim der 70-er Jahre.

Mit launigen Worten hat sich Prof. Dr. Ulrich Herbert am Sonntag in der Sparkasse für die Verleihung des Ruhrpreises für Kunst und Wissenschaft bedankt. Seit Jahren in Freiburg daheim, nahm er seine Zuhörer mit auf eine vergnügliche Reise in seine Kindheit und Jugend in Mülheim. Der Historiker, dessen Fachgebiete Neuere und Neuste Geschichte sind, schlug aber auch einen Bogen zu deutlich weniger schönen Tagen, zu den 1920er- bis 1940er-Jahren, in denen Mülheim „eines der Machtzentren des Deutschen Reiches“ gewesen sei. Herbert freute sich besonders, dass er gemeinsam geehrt wurde mit Adem Köstereli, der den Förderpreis zum Ruhrpreis entgegennahm: „Ihr Anliegen ist auch das meine“, rief er dem Regisseur und Leiter des Theater- und Kunstprojektes „Ruhrorter“ zu, der seit Jahren mit Geflüchteten arbeitet.

In seiner Laudatio hatte Prof. Dr. Ludger Claßen von der Uni Duisburg-Essen vorab verdeutlicht, was den Ruhrpreisträger ausmacht: „Er ist kein Erzähler, er ist Erklärer.“ Ihm gelinge es, Ereignisse auf historische Entwicklungen zu beziehen, Ursachen und Wirkungen zu erläutern. „Er ist engagierter Aufklärer, der es in seiner wissenschaftlichen Arbeit hervorragend versteht, verdrängte Wahrheiten ans Licht zu ziehen und geschichtliche Zusammenhänge zu erklären und so die Motive handelnder Personen verständlich zu machen.“

Auch Migration im 20. Jahrhundert war oft ein Thema

Herbert, der seit 1995 an der Uni Freiburg lehrt, erforschte unter anderem die Geschichte der Zwangsarbeiter in der NS-Zeit und machte sich mit Veröffentlichungen zum Dritten Reich einen Namen. Auch die Migration im 20. Jahrhundert war immer wieder ein Thema. 1999 wurde er mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis geehrt, einem der wichtigsten Forschungsförderpreise Deutschlands. Von 2001 bis 2006 war er Mitglied des Wissenschaftsrates, der unter anderem die Bundesregierung berät.

Claßen wies hin auf Herberts Monografie über Werner Best, der von 1956 bis 1989 in Mülheim zu Hause war, und „ein in der Öffentlichkeit nahezu unbekannter, gleichwohl wichtiger NS-Funktionär“ gewesen sei: „Ideologe und Organisator der Gestapo und Stellvertreter Reinhard Heydrichs“.

Immerhin fuhr der Zahnarzt einen Opel Kapitän

Herbert (67) selbst erinnerte später an die Jahre nach dem Krieg, als die Ruhrstadt „Anlaufstelle für viele aus der wirtschaftlichen und politischen Elite des Dritten Reiches“ gewesen sei. Seine eigene Mülheimer Geschichte begann 1960, als er mit der Familie aus dem Siegerland herzog. Er habe eine Großstadt erwartet, Hochhäuser, Autobahnen, Straßenkreuzer. Es kam nicht ganz so – „unser Zahnarzt immerhin fuhr einen Opel Kapitän“ –, und doch wurde Mülheim zu einem Ort, dem er einiges zu verdanken habe: „eine ziemlich unbeschwerte Jugend in der wärmenden Hülle der Provinz“.

Neben aufregenden Begegnungen in der Tanzschule Pentermann gehörten Auftritte in der Stadthalle zu den Höhepunkten. „Dort veranstaltete eine mir damals unbekannte Organisation namens Junge Union regelmäßig Tanzabende mit einheimischen Bands.“ Herbert war Mitglied einer der „gefürchteten, gymnasialen Beat-Bands“, die vor bis zu 1000 Besuchern spielten. In einem Jahr sei das Engagement der Band-Mitglieder allerdings so ausgeufert, dass „alle bis auf den Sologitarristen sitzen blieben“. Nach dem Abi verließ er die Stadt, kam später vorübergehend als Lehrer der Gesamtschule Nord zurück. Es sei die „vielleicht sozial intensivstes Zeit“ seines Lebens gewesen.

„Kluge Wahl, diese Menschen zusammen zu ehren“

Sozial intensiv könnte auch eine Überschrift für die Arbeit von Adem Köstereli (32) sein. „Es war eine kluge Wahl, diese Menschen zusammen zu ehren“, lobte dessen Laudator Bernhard Deutsch vom Theater an der Ruhr. Das 2012 gegründete Gesamtkunstwerk der Ruhrorter, das Theaterspielen, Archivrecherche, Videoinstallationen und anderes miteinander verbindet, entstand auch durch lange Gespräche zwischen Köstereli und Regisseur Roberto Ciulli. Mittlerweile werde es „national und international stark beachtet“. Etliche Mitglieder seien vorab am Theater an der Ruhr tätig gewesen. Deutsch erwähnte viele Mitstreiter und ernannte Köstereli zum „Paten“.

Ziel der Ruhrorter, die gern an ungewöhnlichen Orten wie dem ehemaligen Frauengefängnis auftreten, sei es stets gewesen, mit den zumeist jugendlichen Geflüchteten völlig gleichberechtigt zusammenzuarbeiten. Heimatsuchende und Heimatbesitzende ständen Seite an Seite. Urplötzliche Abschiebungen allerdings erschwerten die Sache manches Mal.

„Zeichen für weltoffenes, tolerantes Leben in Mülheim“

Von so einem Fall berichtete Köstereli: Sileman, mit dem man über Wochen intensiv geprobt habe, sei nur wenige Tage vor der Premiere abgeschoben worden. Man habe sich trotzdem entschieden, auf die Bühne zu gehen. Die Jacke des Mannes habe man deutlich sichtbar an eine Wand gehängt – „sie blieb allein zurück“. Über 150 Geflüchtete haben über die Jahre begeistert an Projekten und Workshops teilgenommen. „Ihnen gilt der Preis“, betonte Köstereli. Die Ruhrorter seien „ein Zeichen für weltoffenes, tolerantes, gleichberechtigtes Leben in Mülheim“.