Mülheim. . Die Eltern eines verstorbenen Abhängigen fordern eine konsequentere Unterstützung. Aber manche Betroffene lehnen jegliche Hilfe ab.

Im Innenhof des Café Light an der Gerichtsstraße, offener Treff der Drogenabhängigen, erinnert ein Steingarten an verstorbene Besucher. Letztens wurde dort eine Gedenkfeier abgehalten (wir berichteten), Betreuer von der Awo-Drogenhilfe waren dabei und Leute aus der Szene. Einer von ihnen äußerte bei der Gelegenheit, nach seiner Ansicht habe mancher Tod verhindert werden können. Genau das glauben auch die Eltern eines mittlerweile verstorbenen Suchtkranken.

Sie haben sich in offensichtlicher Betroffenheit bei dieser Zeitung gemeldet, möchten aber anonym bleiben. „Wir haben viele Jahre gekämpft für das Leben unseres Kindes und eine bessere Versorgung“, sagt die Mutter, „trotzdem haben wir unser Kind letztes Jahr verloren.“

Mutter: „Mehr Druck per Gesetz“

Ihr Sohn gehörte zu den Drogensüchtigen, die substituiert werden, sich also täglich in einer Arztpraxis Ersatzmittel holen, etwa Methadon. Wer an dieser Behandlung teilnimmt, muss verpflichtend auch psychosoziale Betreuung in Anspruch nehmen. Die Mitarbeiter des Drogenhilfezentrums „sollten zu Lebzeiten ihrer Schützlinge aktiver bzw. konsequenter sein“, meint die Mutter. Wer nicht wolle, brauche nicht in die Beratung zu gehen. „Auch per Gesetz müsste mehr Druck ausgeübt werden“, sagt sie. „Diese Menschen sind psychisch krank. Doch letztlich können sie selber entscheiden, ob sie sterben wollen.“

Jasmin Sprünken, Leiterin des Drogenhilfezentrums der Awo, kann diese Sichtweise „absolut verstehen“. Sie weist darauf hin, dass jeder, der am Substitutionsprogramm teilnimmt, einmal pro Quartal bei ihnen persönlich vorsprechen muss. Dann wird eine Bescheinigung ausgestellt, „und darauf achten die Ärzte auch genau, wir arbeiten eng mit ihnen zusammen, treffen uns regelmäßig“.

Aber es seien eben Drogenabhängige darunter, die nur pro forma vorbeikommen „und offen sagen: ,Ich will eure Hilfe nicht.’ Hier stoßen wir oft an unsere Grenzen“, sagt Sprünken. „Wir können nur Angebote machen, niemanden zwingen. Keine Beratungsstelle kann das. Wir müssen teilweise auch zusehen, dass es Menschen immer schlechter geht. Das ist nicht leicht auszuhalten.“

Mehr Todesfälle in der Drogenszene

Tatsächlich ist die Zahl der Todesfälle in der Mülheimer Drogenszene in letzter Zeit gestiegen. Sonst seien es durchschnittlich vier bis acht Verstorbene pro Jahr gewesen, zuletzt doppelt so viele: Zwölf Klienten starben 2017, bislang sechs in diesem Jahr, „meist an Folgeerkrankungen des langjährigen Konsums“. Zugleich sei die Lebenserwartung der Suchtkranken deutlich höher geworden, durch ein besseres Versorgungssystem, insbesondere Substitution: „Wir haben eine große Gruppe im Alter um die Fünfzig, das gab es früher kaum“, so die Beraterin.

Ihr Kollege Rudolf Amann, der als Psychologe in der Awo-Drogenberatung tätig ist, weiß aus vielen Gesprächen mit verzweifelten Angehörigen: „Die Hilflosigkeit ist für sie ein großes Problem. Alles wurde ausprobiert, keine der gängigen Methoden wirkt... Da wünschen sich manche Eltern ein umfassendes Kontrollsystem. Aber unsere Klienten sind erwachsene Leute.“

Jasmin Sprünken ergänzt, auch für sie und ihr Team sei es schwer, wenn Menschen versterben, die man seit 15, 20 Jahren kenne. „Aber natürlich ist das überhaupt nicht vergleichbar mit dem Leid von Eltern, die ihr Kind begraben müssen.“

Kritisch ist der „Beikonsum“ 

Ärzte, die Substitutionsmittel ausgeben, müssen dies bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beantragen und die Zusatzqualifikation „Suchtmedizinische Grundversorgung“ nachweisen. „Es gibt wenige Ärzte, die sich dazu bereit erklären,“ sagt Jasmin Sprünken von der Awo-Drogenhilfe, „denn es ist nicht einfach, die unterschiedlichen Patientengruppen zu mischen.“ Auch müssten strenge Vorschriften für Betäubungsmittel beachtet werden.

Kritisch ist der sogenannte „Beigebrauch“, den viele Patienten betreiben, etwa Alkoholkonsum. Ein Sprecher der KV Nordrhein erklärt hierzu: „Der Beikonsum wird durch regelmäßige Urinkontrollen überprüft.“ Zudem könne der Arzt bei Verdacht einen Alkoholtest durchführen, bevor er das Mittel aushändigt.

Ihr Sohn sei „regelmäßig alkoholisiert zur Vergabe erschienen“, klagt die Mutter des inzwischen Verstorbenen. Keinen habe es gestört. Auch seien Rezepte für diverse Medikamente ohne weiteres ausgestellt worden. „Die Substitution ist kein Allheilmittel, beseitigt nicht die Sucht“, sagt Jasmin Sprünken. Hart sei aber auch die Entscheidung, die Behandlung abzubrechen.

>> Substitution in Mülheim: Patienten und Praxen

In Mülheim nehmen 180 bis 200 Opiatabhängige regelmäßig am Substitutionsprogramm teil. Sie erhalten Methadon oder ähnliche Mittel. Nach Angaben der Awo-Drogenberater sind die Betroffenen größtenteils im Alter zwischen Mitte 30 und Mitte 40.

In der Stadt gibt es zwei Ärztinnen, die substituieren, beide sind Allgemeinmedizinerinnen. Eine Praxis liegt an der Gerichtsstraße, in unmittelbarer Nachbarschaft der offenen Anlaufstelle Café Light, die andere befindet sich auf der Mellinghofer Straße.