Mülheim. . Mülheims Carsharing-Szene ist übersichtlich. Kooperationen zwischen Unternehmen prägen zunehmend das Bild, um Kunden besser zu binden.
Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit dem Auto zum Hauptbahnhof und stellen es dort ab. Den Schlüssel lassen Sie im Handschuhfach liegen, damit der Nächste ins Fahrzeug einsteigen und losfahren kann. Klingt ungewöhnlich? Das ist das Prinzip von Carsharing.
Carsharing (englisch für „geteiltes Auto“ oder „Gemeinschaftsauto“) bezeichnet das gemeinschaftliche Nutzen eines Autos. Das Prinzip gibt es deutlich länger als den englischen Begriff im deutschen Sprachraum. Denn Carsharing betreibt – streng genommen – auch der, der sein Auto privat an seinen Nachbar verleiht. Mittlerweile haben sich zahlreiche kommerzielle Anbieter am Markt etabliert.
Die Fahrzeuge lassen sich über eine Smartphone-App oder im Internet reservieren. Im Unterschied zum klassischen Mietwagenverleih muss ein Carsharing-Auto nicht bei einem Mitarbeiter abgegeben werden, sondern kann nach Gebrauch einfach abgeschlossen stehen gelassen werden. Ganz egal, ob es 20 Minuten oder acht Stunden lang unterwegs war.
Nissan am Hauptbahnhof wird verschwinden
Seit September 2013 fahren die Autos von RuhrautoE durch Mülheim. Drei Stationen wurden eingerichtet: Am Hauptbahnhof, am Forum und an der Düsseldorfer Straße in Saarn. Davon ist heute laut Homepage nur noch die erste geblieben. RuhrautoE ist ein Projekt der Uni Duisburg-Essen (DUE), des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR), der Vivawest Wohnen und der Drive-Carsharing. Letztere stellt die Autos und die Buchungstechnik zur Verfügung – allerdings wird das nicht mehr lange so sein.
Adam Balogh, Geschäftsführer von Drive-Carsharing, bestätigt, dass die Förderung für das Projekt RuhrautoE am 31. Januar 2018 regulär ausgelaufen ist. Zwar können die Wagen online noch gebucht werden, aber: „Nach Leasingende werden die Fahrzeuge nach und nach abgezogen und nicht neu besetzt“, so Balogh. Der Nissan Leaf am Hauptbahnhof wird demnach im Dezember verschwinden.
Es gibt allerdings Pläne, RuhrautoE mit einem anderen Anbieter weiter zu betreiben. Im Gespräch ist laut übereinstimmenden Quellen das Unternehmen „eShare.One“ aus Dortmund, dessen Geschäftsführer Andreas Allebrod zuvor RuhrautoE leitete.
In Zukunft sollen es mehr Stationen werden
Laut Balogh hänge das Ende der Zusammenarbeit für RuhrautoE auch damit zusammen, dass sich sein Unternehmen in der Zwischenzeit neu aufgestellt habe. Statt eigene Autos auf der Straße fahren zu lassen, wolle Drive-Carsharing in Zukunft Systemdienstleister für andere Carsharing-Unternehmen sein.
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Ein zweites, in Mülheim aktives Carsharing-Unternehmen ist Stadtmobil Rhein-Ruhr. In Mülheim gibt es mit dem Hauptbahnhof und dem Max-Planck-Institut zwei Stationen. In Zukunft sollen es mehr werden. Geschäftsführer Matthias Kall erklärt, dass weitere Stationen in der Stadt geplant sind. Welche Orte genau Stadtmobil Rhein-Ruhr dabei im Blick hat, verrät Kall noch nicht.
Carsharing hat es im Ruhrgebiet schwer
Stadtmobil Rhein-Ruhr steht in Mülheim ebenfalls vor einem Umbruch. „Im Moment fahren wir im Auftrag der Pia. Ab dem 1. Januar 2019 sind wir komplett eigenständig, weil die Pia aussteigen wird“, sagt Matthias Kall. Ausgestiegen ist vor etwa drei Monaten auch das Autohaus Hingberg, das eine Kooperation mit der SWB hatte. Drei Autos waren für Mieter besonders günstig zu leihen. Doch für das Autohaus rentierte sich der Aufwand nicht.
Im Städteranking des Bundesverbands Carsharing 2017 landet Mülheim mit insgesamt 0,05 Fahrzeugen pro 1000 Einwohner auf Platz 108 von 144. Städte wie Duisburg, Oberhausen, Bottrop und Gelsenkirchen stehen noch schlechter da. Warum hat es Carsharing im Ruhrgebiet schwer? „Das Ruhrgebiet benimmt sich nicht wie eine große Metropole, sondern wie viele einzelne Städte“, sagt die städtische Klimaschutz-Koordinatorin Ulrike Marx. Vor allem an Stadtgrenzen sei es schwierig, von Bus auf Carsharing umzusteigen.
Kooperation ist das Modell der Zukunft
Adam Balogh von Drive Carsharing hält dagegen: „Jede mittelgroße Stadt ist attraktiv für Carsharing“, erklärt er. Sogar auf dem Dorf sei das möglich: „Jeder, der einen Fuhrpark mit nur zwei Autos hat, kann Carsharing betreiben.“ Erfolgreiches Carsharing hänge nicht von der Größe des Ortes ab, sondern von Stammkundschaft. „Wer einen Stamm von zehn bis 20 Leuten pro Auto aufgebaut hat, hat eine gute Grundauslastung“, so Balogh.
Das Stichwort der Zukunft lautet Kooperation. Lidl möchte ab September an 50 Filialen in Nordrhein-Westfalen zusammen mit Mazda und Flinkster Carsharing anbieten. Eine Anfrage, ob auch Mülheimer Niederlassungen sicher dabei sind, ließ Lidl am Mittwoch unbeantwortet. Die Medl plant ebenfalls eine Zusammenarbeit, um Carsharing anzubieten.
Medl plant Carsharing in Dümpten und Winkhausen
Ab dem 1. November kooperiert der Mülheimer Energiedienstleister Medl mit Flinkster und weiteren lokalen Partnern, um seinen Kunden auch Carsharing anbieten zu können. Das Projekt „FlexAuto“ ist Teil eines E-Mobilitäts-Gesamtkonzepts, das zum Beispiel auch eine Photovoltaikanlage zur Stromerzeugung umfasst.
Auffällig sind sie, die elektrischen Smarts, die ab dem 1. November in einem Wohngebiet in Dümpten stehen sollen. Im Farbton Beere lackiert, stechen sie heraus. Zum einen, um sie farblich von den anderen Fahrzeugen der Medl-Flotte abzugrenzen, zum anderen, um gezielt Frauen anzusprechen. Aber nicht nur die. Denn Carsharing sei nicht allein jungen, urbanen Studenten vorbehalten. „Wir möchten damit andere Zielgruppen erreichen und nicht nur Junge ansprechen“, sagt Dr. Hendrik Dönnebrink, Geschäftsführer der Medl. Projektentwicklerin Yvonne Bautz ergänzt: „Vor allem für ältere Menschen ist das Automatikgetriebe der Fahrzeuge praktisch.“
Eine Erweiterung des Projekts ist bereits in Planung. Die Verhandlungen zu einer Carsharing-Station in Winkhausen stehen offenbar kurz vor dem Abschluss. In wenigen Wochen könne er genauere Details dazu verraten, so Dönnebrink. Neben lokalen Partnern soll auch Flinkster, das Carsharing-Geschäftsmodell der Deutschen Bahn, beteiligt werden. „Damit können wir zusätzlich Nutzer ansprechen, die nicht in Mülheim wohnen“, erklärt Dönnebrink.
Die Medl stellt für das Projekt „FlexAuto“ die Fahrzeuge, die nötigen Versicherungen und die Infrastruktur mit Ladestationen. Platziert werden sie an Orten, die zu den Partnern des Vorhabens gehören. „Damit erreichen wir eine hohe Anbindung an den Kunden“, so Dönnebrink. Die Innenstadt stehe nicht vorrangig im Fokus. Später seien auch Flatrate-Modelle in Kombination mit Stromtarifen denkbar.
Für Dönnebrink ist die Kooperation im Bereich Carsharing ein Zukunftsmodell. Sollte das Projekt dennoch am Ende nicht erfolgreich sein, gibt es zumindest für die Fahrzeuge bereits einen Plan B. „Die Autos kämen zurück in unseren Fuhrpark und würden andere, ältere Fahrzeuge ersetzen“, sagt er.
>> Glossar
Der Bundesverband Carsharing (BCS) ist der Dachverband aller Carsharing-Unternehmen in Deutschland. Ziel ist es laut Homepage, den Autobestand zu vermindern und dadurch die Umwelt zu schonen. Nach eigenen Angaben sind 144 der insgesamt 165 Carsharing-Firmen in Deutschland Mitglied im Dachverband. Alle zwei Jahre veröffentlicht der BCS ein Carsharing-Städteranking. Darin wird ermittelt, wie viele Carsharing-Fahrzeuge auf 1000 Einwohner einer Stadt kommen. 2017 landeten Duisburg, Oberhausen und Gelsenkirchen hinter Mülheim.
Stationsgebunden nennt sich eine Form des Carsharings. Dabei hat das Auto einen festen Stehplatz, wo es abgeholt und auch wieder abgestellt werden muss. Häufig befinden sich diese Fahrzeuge in der Nähe von großen Verkehrsknoten, wie zum Beispiel am Hauptbahnhof. Das Gegenteil davon ist „stationsungebunden“. Hierbei kann das Auto nach Benutzung irgendwo auf einem normalen Parkplatz abgestellt werden. Diese Fahrzeuge sind häufig mit GPS ausgestattet. Nutzer eines stationsungebundenen Carsharing-Dienstes sehen mit Hilfe der Smartphone-App, wo das nächste verfügbare Auto steht.