Mülheim. . Im „Pottschwarz“ hat Peter Leitzen zum 50. Jubiläum des „philosophischen Abend-Cafés“ eingeladen. Seit zwei Jahren sind sie heiß begehrt. Warum?
Von wegen Diogenes in der Tonne: Wenn der Mülheimer Peter Leitzen zum Philosophieren einlädt, füllt er mit den vermeintlich ‘ollen Denkern’ Sokrates, Popper und Marx die Cafés, dass jede politische Veranstaltung vor Neid erblassen möchte. Zur 50. Veranstaltung im knallvollen Saarner „Pottschwarz“ am Dienstagabend warten noch gut 20 Gäste geduldig auf Stühlen vor der Tür, um ihm zuzuhören.
Dabei klingt der Abend fast wie hirnzermürbende Schwerstarbeit: Eine gute halbe Stunde referiert Leitzen frei über Marx’ Beziehung zur Religion, das „Opium des Volkes“, das „Theorie-Praxis-Verhältnis“, es geht um „Verdinglichung“, „Warenfetischismus“. Harte Kost? Der pensionierte Lehrer sattelt ein dreiseitiges Thesenpapier drauf. Uff.
Die Schicht unter der Oberfläche
Was ist das Geheimnis? „Er ist nie belehrend, gibt keine fertigen Antworten“, meint Susanne Bauer, die schon zum zweiten Mal begeistert dabei ist. „Er deckt die Schicht unter der Oberfläche auf“, gefällt Gabriele Streitbürger der Ansatz nach „der Wahrheit“ zu suchen, der so gar nicht in unsere Zeit der Twitter-Propaganda, Filterblasen und Fake News zu passen scheint.
Leitzen trifft bei seinen Zuhörern den Nerv mit dem, was die Generation des Wirtschaftswunders noch als schöngeistige, aber „brotlose Kunst“ abgetan hätten. Kurzum: Zeitverschwendung. „Die Philosophie ist ein gefährliches Instrument“, widerspricht der Mülheimer Denker: „Präzise Fragen können das Gedankengebäude eines Menschen zum Einsturz bringen – das hat Sokrates gelehrt.“
Denken gegen den Strich wurde zum Erfolg
Vor zwei Jahren entstand diese Idee des philosophischen Abend-Cafés, „aus einer Laune heraus“, lächelt Leitzen, als könne er das nunmehr 50. Mal selbst kaum glauben. Doch sein Denken gegen den Strich wurde sehr schnell ein großer Erfolg. Inzwischen laufen die Abende außerdem stadtweit in der Galerie Green und im „Hungry Poet“. Und selbst die Thesenpapiere gehen jedes Mal weg wie geschnitten Brot.
Man muss dabei aber nicht akademisch sein, glaubt der Denker. Es ist seine Kunst, gute Fragen zu stellen. Aus Freuds Kulturtheorie wird so: „Ist die Absicht, dass der Mensch glücklich werde, im Plan der Schöpfung nicht enthalten?“ Aus Poppers Theorie der ‘offenen Gesellschaft’ wird: „Was ist die beste Ordnung des menschlichen Zusammenlebens?“
Die Kultur des Dialogs
Und offenbar ist Leitzens Art oder Kultur des Dialogs fruchtbar: „Machen Sie mal was Pädagogisches“, beteiligen sich die Gäste rege an der Themenfindung.
Auch die Politik hatte der Mülheimer Philosoph bereits zu Gast. Der Mülheimer SPD-Bundestagsabgeordnete Arno Klare musste sich mal seinen ‘einsturzgefährdenden’ Fragen stellen: „Er hat es gut gemacht“, meint Leitzen.
Wenn die Philosophie so anregend ist, warum begeistert dann die Politik so wenig? „Sie hat ein Glaubwürdigkeitsproblem“, aber noch gravierender ist für den pensionierten Lehrer die Vermittlung von Politik: „Der Wahrheit nähert man sich immer im Dialog, im Widerspruch. Die Philosophie lädt dazu ein. Viele Politiker können keinen Widerspruch aushalten“, meint Leitzen. Das ist vermutlich der Grund, warum Trump twittert, also ein Medium nutzt, das Monologe, aber keinen Widerspruch zulässt.
>> Vorbild sind die philosophischen Praxen
Am Gymnasium Heißen lehrt Peter Leitzen, der Philosophie, Pädagogik, Politik und Soziologie unterrichtete, immer noch gelegentlich.
Vorbild für den philosophischen Abend waren die sogenannten philosophischen Praxen. 180 gibt es davon in Deutschland. Sie bieten Menschen Orientierungshilfen.