Mülheim. . Eine Gesprächsrunde im Katholischen Stadthaus bringt Akteure unterschiedlicher Bereiche zusammen. Sie verraten, was sie an- und umtreibt.

Warum fällt es uns oft so schwer, in Frieden zu leben und ihn zu bewahren, obwohl sich so viele Menschen danach sehnen? Dieser und anderen Fragen gingen am Dienstag im Katholischen Bildungswerk hiesige Friedensakteure nach.

Das ewige Streben um Harmonie, die immer wiederkehrende Enttäuschung, dass sie selten lang währt und das Entsetzen über den Krieg: All das sei „ein Thema, das so alt ist wie die Menschheit selbst und doch immer aktuell“, sagte Historiker Dr. Thomas Emons zum Einstieg in die Diskussionsrunde. Welche Rolle Frieden im Leben seiner Gesprächspartner spielt und was sie zu ihrem Engagement motiviert, interessierte den Moderator.

Geprägt von Neid, Missgunst und ähnlichem

Claudia Schepanski, Leiterin der Polizeiinspektion Mülheim, sieht sich und ihre Kollegen als „tägliche Konfliktlöser, als Krisenmanager“. Das Aggressionspotenzial in der Gesellschaft steige, „Gewalt wird immer mehr zu einem probaten Mittel, um Konflikte auszutragen.“ Menschen sind nie nur gut, glaubt Schepanski, sondern immer auch geprägt von Neid, Missgunst und ähnlichem. Manchem gelinge es, Frust im Griff zu haben, anderen nicht. Klar sei aber: „Das Problem zieht sich durch die ganze Gesellschaft, selbst körperliche Gewalt findet man überall.“

Geprägt von einer Kindheit im Krieg sind Angelika Romeik vom Friedensforum Mülheim sowie der Religionspädagoge Gerhard Bennertz. Beide sind Ende der 30er zur Welt gekommen, haben Angst und Schrecken am eigenen Leib erfahren. Die Sehnsucht nach Frieden wurde Lebensthema. Beide schauten über den Tellerrand hinaus, beschäftigten sich intensiv mit Menschen aus Krisenregionen wie dem Nahen Osten oder dem ehemaligen Jugoslawien. Bennertz trug zur Aufarbeitung des Holocausts in Mülheim bei. Ihre Begegnungen haben Romeik gezeigt, dass es „deutlich mehr Friedensstifter auf der Welt gibt als Kriegsverursacher“. Für Bennertz spielen Erfahrungen in der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle: Nie habe er vergessen, wie es sich anfühlte, als er und die Freunde aus dem Chor in Amersfoort freudig von den Niederländern begrüßt worden seien, die kurz zuvor noch Feinde gewesen waren.

Schüler vom Friedensgedanken überzeugen

Als Lehrer versuchte er, möglichst viele Schüler vom Friedensgedanken zu überzeugen. Das sei heute wichtiger denn je: Zu fragen sei, was Schule dazu beitragen kann, dass Kinder nicht mehr so aggressiv sind. Lehrkräfte müssten entsprechend ausgebildet werden.

Einen anderen Aspekt von Frieden brachte Knut Binnewerg ein, einst Lehrer und Bezirksbürgermeister. Er ist Schiedsmann, „und wenn ich angesprochen werde, geht’s um den Frieden zwischen Nachbarn“. 144 Nationen gebe es in der Stadt, rund 170 000 Menschen, „und das Leben ist kein Ponyhof“: Wo Menschen zusammenlebten, gebe es Konflikte. Dass die Gesellschaft immer älter werde und Menschen häufiger allein oder in kleinen Familien lebten, sei ursächlich für vieles: „Die Menschen sind Gemeinschaft nicht mehr gewohnt.“ Verständnis fehle. „Viele wollen nur auf der Terrasse sitzen und Ruhe haben.“ Dabei könnte ein Austausch so hilfreich sein.

Als Vorstand der katholischen Organisation Pax Christi im Diözesanverband Essen wirkt Dietmar Blümer. Er weiß, dass manch einer „den gerechten Krieg“ für möglich hält. Auch er selbst kenne das Gefühl, dass eine Konfliktlösung per Waffen logisch erscheint, habe daran etwa gedacht, als die Terrororganisation Boko Haram massenhaft Mädchen entführte. Doch sei die Suche nach anderen Wegen nötig: „Gewalt bringt nur wieder Gewalt.“ Blümer fordert mehr Begegnungsorte für Menschen unterschiedlicher Herkunft.

Eine große emotionale Not gibt es in der Stadt

Was Krieg bewirken kann, weiß Hannah Berntgen von der Caritas aus Gesprächen mit Flüchtlingen. „Was diese Menschen erlebt haben, relativiert vieles.“ In der täglichen Arbeit steht Berntgen sozial schwachen Familien zur Seite, in denen nicht selten Frustration Auslöser für Aggressionen ist. Auch ihren Klienten berichte sie von den Schicksalen der Flüchtlinge. „Ich sage ihnen oft: Es gibt durchaus Menschen, die mehr haben als ihr. Aber ihr sei gesund, ihr liebt euch, ihr könnt hier leben.“ Bei der Suche nach Frieden in Familien sei es wichtig, auf die Sachen hinzuweisen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind, „auf das, was hinter allem steht“. Berntgen sieht zum Teil eine große emotionale Not in der Stadt, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die sich danach sehnten, aufgefangen zu werden. Auch das Leben in virtuellen Welten, „wo alles schöner und einfacher ist“, sei ein Aspekt, warum es in der Gesellschaft Probleme gibt. Mehr Lehrer, Erzieher und Schulsozialarbeiter seien vonnöten.

Friedensaktivistin Romeik will weiter auf Gespräche mit Menschen aus aller Welt setzen, damit auch in Mülheim erkennbar werde, was weltweit los ist. Leider gebe es weiterhin „eine große Bewegung, die gegen Frieden ist“: Menschen, mit allzu großem Interesse an Bodenschätzen beispielsweise. Romeik erinnert an die Bibel: „Wenn wir uns alle nur ansatzweise an die radikalen Forderungen aus der Bergpredigt hielten, würde es überall deutlich besser werden.“