Bereits seit Ende der 80er Jahre beschäftigt die Denkmalwürdigkeit der alten Lederfabrik Lindgens das Amt für Denkmalpflege. Gutachten steht aus.

Das Rheinische Amt für Denkmalpflege beschäftigt sich bereits seit Ende der 1980er Jahre mit der Denkmalwürdigkeit der alten Lederfabrik Lindgens. Rasmus Radach, dortiger Referent für Technik- und Industriedenkmalpflege, nahm gegenüber der Redaktion Stellung zum Denkmalschutz-Streit.

Seit wann beschäftigt sich Ihre Behörde mit dem Denkmalwert der Industrieanlage und was waren die Auslöser für etwaige Bewertungen aus Ihrem Hause?

Das Lindgensgelände in Mülheim von oben

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    Rasmus Radach: Die beiden Repräsentationsbauten unmittelbar am Kassenberg wurden erstmalig 1988 im Zuge der Listenerfassung vom Landesamt als potenziell denkmalwert kartiert. Eine genauere Untersuchung erfolgte im Jahr 1994 durch Professor Walter Buschmann aus dem Referat Industriedenkmalpflege, der den Denkmalwert der beiden Gebäude mit einer gutachterlichen Stellungnahme vom 17. August 1994 ausführlich begründete. Die weiteren Bauten der noch produzierenden Fabrikanlage wurden darin nicht bewertet. Auf Grundlage des Gutachtens stellte das Landesamt einen Antrag auf Unterschutzstellung.

    Auf wessen Initiative hin ist später die Denkmalwürdigkeit von Kesselhaus und Schornstein geprüft worden?

    Nach dem Ende der gewerblichen Nutzung bat die Untere Denkmalbehörde Mülheim das Landesamt vor dem Hintergrund der geplanten Neubebauung des Werksgeländes im Juli 2015 um die Bewertung von zwei weiteren Bauten der Lederfabrik – dem Pförtnerhaus und dem Kesselhaus mit Schornstein. Beide wurden von der Unteren Denkmalbehörde als denkmalwert angesehen. Nach einer gemeinsamen Ortsbegehung mit der Stadt Mülheim und dem neuen Eigentümer im März 2017 wurde die Einschätzung der Unteren Denkmalbehörde durch unser Amt am 17. Juli 2017 bestätigt. Am 27. November 2017 erfolgte ein Antrag auf vorläufige Unterschutzstellung durch das Landesamt.

    Wie hat Ihr Amt die Unterschutzstellung begründet?

    Der Denkmalwert von Kesselhaus mit Schornstein wird mit der Bedeutung der Energieerzeugung für den industriellen Produktionsprozess, der markanten, funktionsspezifischen Gebäudeform sowie der städtebaulichen Prägnanz als weithin sichtbare Landmarke begründet. Der gemauerte Kamin mit dem Namenszug des bedeutendsten Unternehmens der Mülheimer Lederindustrie gehört heute zu den letzten stadtbildprägenden Zeugnissen der zur Jahrhundertwende von zahlreichen Schornsteinen geprägten Industrielandschaft am Broicher und Saarner Ruhrufer.

    Die neuen Eigentümer wollen das alte Kesselhaus und den Schornstein abreißen, verweisen dabei nicht nur auf marode Bausubstanz und unzumutbaren wirtschaftlichen Aufwand zur Sanierung, sondern auch darauf, dass die Anlagen nicht denen der ursprünglichen Industrieanlagen entsprechen, sondern erst nachträglich errichtet worden sind. Wie stehen Sie zur dieser Argumentation?

    Wie es für industrielle Anlagen charakteristisch ist, vollzog auch das Werk der 1861 gegründeten Lederfabrik Lindgens im Laufe seiner Geschichte eine bauliche Entwicklung, in deren Verlauf die Fabrikanlage expandierte und durch neue Gebäude erweitert wurde, während andere Bauten ersetzt wurden. So brannte die Fabrik 1883 nieder und weist heute keine Bauten aus der Gründungsphase mehr auf; der heutige Anlagenbestand zeigt folgerichtig eine gewachsene Anlage aus verschiedenen Zeitschichten, zu denen das Pförtnergebäude (vor 1912), das Fabrikgebäude (1915/16), die Verwaltung (1922), aber auch das Kesselhaus mit dem 1939 errichteten Schornstein gehören. Der Denkmalwert der ausgewählten Anlagen begründet sich nicht vorrangig mit ihrem Alter, sondern mit ihrer Zeugniskraft für die geschichtliche Bedeutung der Fabrik gemäß den Kriterien des Denkmalschutzgesetzes. Der beantragte Schutzumfang berücksichtigt zu diesem Zweck wesentliche, noch in aussagekräftigem Zustand erhaltene Bauten der Lederfabrik als ausgewählte Erinnerungsträger einer weit größeren Fabrikanlage.

    Wie geht es nun weiter?

    Das Denkmalschutzgesetz NRW ist zweistufig aufgebaut. Fragen der Erhaltungsfähigkeit und der wirtschaftlichen Zumutbarkeit sind dem Gesetz zufolge von der Feststellung des Denkmalwertes zu trennen. Die historische Bedeutung eines Gebäudes kann auch dann gegeben sein, wenn das Bauwerk schadhaft oder nicht mehr in der angestammten Form nutzbar ist. Wird ein Denkmalwert gesetzeskonform begründet, ist das Gebäude in die Denkmalliste einzutragen. Möchte der Eigentümer das Gebäude dann verändern oder abreißen, ist dazu in einer zweiten Verfahrensstufe ein Erlaubnisverfahren erforderlich, bei dem die vorgebrachten Gründe des Eigentümers geprüft werden und von diesem zu belegen sind.

    Welche neuen Inhalte sind in Ihrem ausstehenden Gutachten zu erwarten?

    Es wurden vertiefende Recherchen zur Baugeschichte von Pförtnerhaus, Kesselhaus und Schornstein durchgeführt, um das Gutachten zum Denkmalwert der aufgeführten Bauten weiter zu präzisieren. Der Eigentümer hat im Anhörungsverfahren bereits die Gelegenheit erhalten, seine Argumente zum Denkmalwert der Bauten darzulegen und wird dazu nach Fertigstellung des Gutachtens nochmals Stellung nehmen können. Es wird jetzt auch schon zwischen dem Eigentümer, der Stadt Mülheim und dem Landesamt geklärt, welche Nachweise im Falle eines möglichen Abbruch- oder Umbauverlangens aus denkmalfachlicher Sicht für erforderlich und belastbar angesehen werden, um dem Eigentümer eine entsprechende Planung zu ermöglichen.

    Die Investoren wollen für das Areal noch in diesem Jahr einen städtebaulichen Wettbewerb starten. . .

    Unabhängig vom weiteren Verlauf des Unterschutzstellungsverfahrens sollen mögliche Nutzungspotenziale für die denkmalwerten Gebäude im Zuge des geplanten städtebaulichen Wettbewerbs ausgelotet werden, um die Erhaltungsperspektive in funktionaler Hinsicht zu überprüfen und mit neuen Impulsen zu versehen.