Mülheim. . Mülheimer Sozialagentur kürzt nur selten die Leistung ihrer Kunden. Die Leiterin führt als Grund eine besondere strukturelle Organisation an.

Die Sozialagentur in Mülheim verhängt im Vergleich zu anderen Hartz-IV-Behörden nur wenige Sanktionen. In Essen mussten im vergangenen Jahr 2,9 Prozent aller erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger Leistungskürzungen hinnehmen. In Mülheim lag die entsprechende Quote im gleichen Zeitraum bei vergleichsweise geringen 1,6 Prozent. „Wir haben in Mülheim traditionell eine sehr niedrige Sanktionsquote“, sagt Anke Schürmann-Rupp, Leiterin der Sozialagentur.

Als Grund führt sie an, dass die Sozialagentur strukturell anders aufgestellt sei als die Jobcenter anderer Städte. Die Hilfeempfänger im SGB II (Hartz IV) würden nicht nach Anfangsbuchstaben des Nachnamens sortiert, sondern nach Sozialräumen. Das führe dazu, dass Personen einer Bedarfsgemeinschaft, etwa auch nicht verheiratete Paare, mit den gleichen Sachbearbeitern zu tun haben. „Bei uns entscheiden Leistungsgewährung und Fallmanagement gemeinsam“, erklärt Schürmann-Rupp. Man arbeite sowohl intern als auch mit den Leistungsberechtigten zusammen.

Sanktion sei „das allerletzte Mittel“

„Wir sind nah dran am Kunden“, sagt sie. Jeder Sachbearbeiter kenne seine Fälle persönlich. „Im Beratungsprozess entwickeln wir gemeinsam Strategien, um Sanktionen zu vermeiden.“ Ziel sei immer, einen Kompromiss zu finden. Eine Sanktion sei „das allerletzte Mittel“. Versäume ein Kunde zum Beispiel einen Termin, werde er erneut eingeladen, um den Grund für sein Nichterscheinen darzulegen. Hat der Leistungsempfänger eine plausible Erklärung, „dann sehen wir von einer Sanktion ab“, so Schürmann-Rupp.

2017 war das 437 Mal der Fall. Als Beispiel führt die Leiterin der Sozialagentur einen Trauerfall in der Familie an: „Da ist es verständlich, dass man mal einen Termin verpasst.“ Wenn die Erklärung des Hilfeempfängers allerdings nicht nachvollziehbar sei, müssten Sanktionen ausgesprochen werden. Diese spielten sich aber meist im Zehn-Prozent-Bereich ab. Im vergangenen Jahr waren davon 574 Personen betroffen.

Miete bleibt bei einem Erstverstoß unberührt

Es kommt aber auch vor, dass Hilfeempfängern die Leistung zu 100 Prozent gestrichen wird. Die Miete bleibt davon bei einem Erstverstoß unberührt. Das war 2017 vor allem bei den Jüngeren bis zum Alter von 25 Jahren der Fall. 142 Personen waren von diesen Sanktionen betroffen, weil sie beispielsweise gegen die Eingliederungsvereinbarungen verstoßen haben, also nicht zu Maßnahmen erschienen sind oder ähnliches.

Anders als bei den Leistungsberechtigten über 25 Jahren kann die Sozialagentur den Jüngeren das Geld ausschließlich zu zehn Prozent oder ganz streichen. Der Grund für diese Regel: „Der Gesetzgeber möchte die Jugendlichen motivieren“, erklärt Schürmann-Rupp. „Sie haben alle Möglichkeiten, wenn sie nur wollen.“ Bei den Unter-25-Jährigen könnten die Sanktionen allerdings auf sechs Wochen verkürzt werden. Doch auch die anderen Kürzungen seien nicht von Dauer. Grundsätzlich gilt: drei Monate – und nicht länger.

>> SOZIALAGENTUR VERHÄNGTE 1114 SANKTIONEN

In Mülheim gibt es derzeit 20 994 Hilfeempfänger im SGB II (Stand: März 2018). Davon sind 14 400 erwerbsfähig. Der Rest setzt sich aus nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, darunter viele Kinder, zusammen.

Mit Blick auf alle Leistungsberechtigten wurden 2017 insgesamt 1114 Sanktionen verhängt. In 437 Fällen wurde laut Angaben der Sozialagentur eine ausgesprochene Sanktion aber nicht durchgesetzt.