Mülheim. . “Wir arbeiten in einem Geisterhaus“, sagen Mitarbeiter aus der alten Kaiser’s Tengelmann-Zentrale in Mülheim. Nun soll Edeka Verdi berichten.

Gut ein Jahr ist es her, dass der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Übernahme des Supermarktgeschäftes von Kaiser’s-Tengelmann durch Edeka per Ministerlass genehmigt hat. Heute harren in der alten Unternehmenszentrale in Speldorf immer noch Mitarbeiter aus. Sie haben zwar eine fünfjährige Beschäftigungsgarantie, nach eigener Schilderung aber überhaupt keine Beschäftigung mehr. Sie klagen über Psychokrieg seitens der Edeka-Geschäftsführung, auch darüber, dass ihnen keine adäquaten Jobangebote gemacht werden.

Zuletzt habe die neue Arbeitgeberin das Wlan abgeschaltet, berichtet eine betroffene Mitarbeiterin. „Uns ist alles genommen worden“, sagt sie und beschreibt, was sich seit der Ministererlaubnis aus Dezember 2016 für die ehemals über 400 Mitarbeiter in der ehemaligen KT-Zentrale an der Wissollstraße getan hat.

Vorwurf: Edeka weist Mitarbeitern keine Aufgaben zu

Nach dem Wechsel zur Edeka Kaiser’s Netto Betriebs AG sei im März 2017 damit begonnen worden, Kaiser’s Tengelmann abzuwickeln. „Bis Ende September waren verschiedene Abteilungen noch mit der Abwicklung und der Umstellung der Filialen beschäftigt“, schildert die Frau. „Seit Oktober hatte ich nur noch ein paar Rechnungen zu bearbeiten – das war’s.“ Neue Aufgaben seien ihr nicht übertragen worden, im Mailfach kämen lediglich noch Störungsmeldungen der IT-Abteilung oder Mails des Personalchefs an. Dieser zeichne jetzt mit dem Unternehmenskürzel „KVB“ – was dahinterstecke, sei nicht kommuniziert worden.

Der Arbeitsalltag der vergangenen fast fünf Monate erschöpfe sich darin, morgens pünktlich einzustempeln und nach Tarifarbeitszeit wieder auszustempeln. Dazwischen: rein gar nichts. Nur physische Anwesenheit werde abverlangt. Einen direkten Vorgesetzten haben einige Kollegen durch die Abgänge vieler Mitarbeiter inzwischen nicht mehr.

„Wir arbeiten in einem Geisterhaus“

„Wir arbeiten in einem Geisterhaus“, sagt eine Mitarbeiterin. Mehrfach seien in den vergangenen Monaten die verbliebenen Arbeitnehmer im Hauptgebäude um­gezogen. Manche nennen diesen einen Gang, auf dem ein Großteil der geschätzt 40 bis 60 letzten KT-Mitarbeiter nun untergebracht sind: „Todestrakt“. Oder „Green Mile“, in Anlehnung an die Verfilmung des Romans von Stephen King. Der Film handelt von einem Gefäng­niswärter, der zum Tode Verurteilte bis zu ihrer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl zu bewachen hatte. . .

Ein drastischer Vergleich. In eine ausweglose Situation sehen sich die verbliebenen KT-Mitarbeiter versetzt. Im Januar habe es neue Rechner gegeben, ohne Serververbindung zur Edeka-Plattform. Das einzige, wofür sie und ihre Kollegen den PC noch hochzufahren hätten, sei die Kontrolle, ob eine neue Mail aus der Personalabteilung eingegangen ist.

Gibt es keine adäquaten Ersatzarbeitsplätze?

Fünf Jahre Jobgarantie waren ausgehandelt worden. Edeka hatte zugesagt, den Mitarbeitern, die nicht freiwillig ihren Platz räumen oder über Angebote des „Freiwilligenprogramms“, etwa Abfindungen, ausscheiden, ihrem Stellenprofil entsprechend Ersatzarbeitsplätze anzubieten. „Man hat uns auch rund 150 Stellen quer durch Deutschland angeboten“, sagt die Mitarbeiterin, fügt aber hinzu: „Das war alles Fake. Ich weiß von Kollegen, die sich darauf beworben haben und noch nicht einmal eine Rückmeldung bekommen haben.“

Edeka hantiere seit einiger Zeit nun auch mit Zwangsversetzungen in die Filialbuchhaltung, heißt es. Tagein, tagaus Zahlen eintippen – das sei für viele höher qualifizierte Sachbearbeiter kein gleichwertiger Ersatz, wie es die Ministererlaubnis vorschreibt, sagt die Mitarbeiterin. Aktuell wachse der Druck auf die Mitarbeiter, so die Schilderung. Das Freiwilligenprogramm solle eingestellt werden. Vom Personalchef ist unter den Kollegen bekannt, dass er gerne mal den Mitarbeitern in Vier-Augen-Gespräch „die Pistole auf die Brust“ setzt: „Wenn Sie da nicht rüberwollen, holen Sie sich doch einen Krankenschein.“ Oder: „Entweder Sie wechseln oder Sie gehen.“

Krankgeschrieben oder einen Anwalt beauftragen

Einige hätten sich aufgrund der psychischen Belastungen krankschreiben lassen, andere versuchten durchzuhalten. Viele haben sich ­bereits anwaltlichen Beistand geholt.

Gewerkschaft, Betriebsrat? Laut Mitarbeiterin nichts von zu sehen. „Es kümmert sich doch niemand drum. Der Betriebsrat müsste jeden einzelnen Kollegen bei einer anstehenden Zwangsversetzung ­anhören“, sagt die Mitarbeiterin. „Statt dessen bekommt man eine Mail vom Personalchef, der Betriebsrat habe der Versetzung zugestimmt.“

Edeka weist Vorwürfe der Mitarbeiter entschieden zurück 

Die Hamburger Edeka-Zentrale weist die Vorwürfe aus der Mülheimer Belegschaft zurück. „Edeka steht fest zu den Bedingungen der Ministererlaubnis“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme zu Fragen dieser Redaktion.

Die Beschäftigungssicherung bis zum 31. Dezember 2021 sei garantiert, auch für die 153 (!) noch angestellten Mitarbeiter der Dienstleistungszentrale in Mülheim, so ein Sprecher des Unternehmens. Da die alten Strukturen von Kaiser’s Tengelmann neu zu ordnen seien, ändere sich allerdings das Anforderungsprofil für die Beschäftigten. Es sei im Interesse der verbliebenen Mitarbeiter, dass für deren Arbeitsplätze „sinnvolle Aufgabenfelder“ definiert würden. „Dafür haben wir bereits sehr viel getan“, auch Wechsel zu anderen Standorten des deutschlandweiten Edeka-Verbundes seien angeboten worden. „Es gibt noch wenige Einzelfälle, bei denen wir noch in Gesprächen für eine individuelle Lösung sind“, so der Sprecher mit Blick auf das „Freiwilligenprogramm“ mit verschiedenen Abfindungsregelungen.

Edeka schweigt zu Mobbing-Vorwürfen

Die Tengelmann-Zentrale in Speldorf: Einiger Büroraum steht hier leer. Laut Edeka sind noch 153 ehemalige KT-Mitarbeiter dort beschäftigt.
Die Tengelmann-Zentrale in Speldorf: Einiger Büroraum steht hier leer. Laut Edeka sind noch 153 ehemalige KT-Mitarbeiter dort beschäftigt.

Er wies die Schilderungen von Mitarbeitern zurück, die würden seit Monaten beschäftigungslos in Speldorf ihre tägliche Arbeitszeit absitzen. „Die Mitarbeiter erbringen zum Beispiel Dienstleistungen für die Edeka-Großhandelsbetriebe und die Edeka-Zentrale. Hierzu gehören unter anderem Stammdatenpflege oder Rechnungsprüfung. Zudem werden die üblichen Standort-Tätigkeiten wie Geschäftsführung, Buchhaltung, IT oder Personal hier realisiert.“

Darauf, dass verbliebene Mitarbeiter der ehemaligen KT-Zentrale über Psychokrieg klagen, geht Edeka nicht explizit ein. Bestätigt werden einige Umzüge innerhalb der alten Zentrale. Das Dienstleistungszentrum sei mit neuen Telefonen, Rechnern und IT-Infrastruktur ausgestattet worden, um eine Anbindung zu Edeka zu schaffen. Generell verfügten alle Rechner über Internetzugang. Es gebe lediglich „in Einzelfällen“ noch technische Probleme, heißt es.

Unternehmen stehe zu der Ministererlaubnis

Die Edeka -Zentrale hält auch die Vorwürfe für ungerechtfertigt, sie biete den verbliebenen Mitarbeitern von Kaiser’s Tengelmann keine adäquaten Ersatzarbeitsplätze an und setze sie gar unter Druck, um sie auf minderwertigere Arbeitsplätze zu versetzen. „Diese Vorwürfe weisen wir deutlich zurück. Edeka steht fest zu den Bedingungen der Ministererlaubnis und arbeitet gemeinsam mit dem Betriebsrat intensiv daran, für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine geeignete Lösung zu finden.“ Generell sei es wie bei jeder Stellenbesetzung „essenziell, dass Stellenprofil und Bewerber zusammenpassen“, heißt es.

Die Gewerkschaft Verdi wird sich am Dienstag im Rahmen eines „Monitorings“ zur Übernahme der Supermarktsparte der Tengelmann-Gruppe vom Handelskonzern Edeka über den Stand der Umsetzung informieren lassen.

Verdi will Fragen zum Dienstleistungszentrum stellen

Das kündigte auf Nachfrage dieser Zeitung Heino-Georg Kassler vom Verdi-Landesbezirk an. Er rechnet damit, dass Edeka der Gewerkschaft an diesem Tag die Zahlen über den aktuellen Stand der Beschäftigten für die Region Nordrhein mitteilt. „Auf dieser Veranstaltung werden wir auch Fragen zu der Situation im Dienstleistungszentrum stellen“, so Kassler.

Der Auftrag der Tarifvertragsparteien sei gewesen, den Übergang von Kaiser’s Tengelmann gemäß der Ministererlaubnis tarifvertraglich umzusetzen. „Die Edeka wollte das Dienstleistungszentrum von Anfang an schließen“, erinnerte Kassler. „Dies haben wir durch den Tarifvertrag verhindert, sodass die Beschäftigten auch unter die Beschäftigungssicherung fallen.“

Betriebsrat nimmt auf Anfrage keine Stellung

Fragen bezüglich der innerbetrieblichen Umsetzung könne Verdi nicht beantworten. Auf eine am Montag kurzfristig gestellte Anfrage reagierte der Betriebsratsvorsitzende Peter Kohne bis zum Redaktionsschluss nicht. Verdi-Mann Kassler verwies angesichts der Mitarbeiter-Klagen darauf, dass jedes Gewerkschaftsmitglied einen individuellen Anspruch auf eine Beratung habe.

Das Bundeswirtschaftsministerium ging auf Anfrage nicht explizit auf die geschilderten Klagen der ehemaligen Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann ein.

Ministerium hat Hinweise auf Verstöße durch Edeka

Ex-Minister Sigmar Gabriel erteilte die Genehmigung.
Ex-Minister Sigmar Gabriel erteilte die Genehmigung.

Das Ministerium verwies darauf, dass in einer Nebenbestimmung der Ministererlaubnis zur Übernahme des Supermarktgeschäftes durch Edeka bestimmt sei, dass Edeka dem Wirtschaftsministerium einen jährlichen Statusbericht vorzulegen habe. In ihm habe das Unternehmen darzulegen, dass die Auflagen der Ministererlaubnis eingehalten werden. Ein erster Bericht werde noch in diesem Halbjahr erwartet. Erst wenn dieser vorliege, könne das Ministerium eine umfassende Bewertung abgeben.

Formelle Beschwerden seien dem Ministerium bislang nicht vorgetragen worden, so ein Sprecher der Bundesbehörde. Gleichwohl habe es Hinweise einzelner Mitarbeiter auf Verstöße gegeben, die an Edeka und Tengelmann sowie an die Gewerkschaft Verdi weitergegeben worden seien – „mit der Bitte, diesen Hinweisen nachzugehen“.