Mülheims SPD scheitert mit der Idee, eine Stadtentwicklungsgesellschaft zu gründen. Gelsenkirchen macht vor, wie Stadtsanierung an Tempo gewinnt.

„Ja, aber. . .“ – mit diesen Worten begründete jüngst Planungsamtsleiter Felix Blasch die Haltung der Verwaltung, dass Mülheim auf dem langen Weg der Stadterneuerung, insbesondere der Innenstadt-Sanierung, keine eigene Stadtentwicklungsgesellschaft aus der Taufe heben sollte, wie im Vorjahr vom damals scheidenden SPD-Fraktionschef Dieter Wiechering wärmstens ans Herz gelegt.

Was in Mülheim aus personellen wie finanziellen Gründen nicht möglich werden soll, wird derweil anderswo engagiert gelebt. Unter anderem ausgerechnet in Gelsenkirchen, wahrlich auch keine Stadt, die Geld im Überfluss hat. Und ausgerechnet ist die Triebkraft des Gelsenkirchener Projektes auch noch eine alte Bekannte: die ehemalige Mülheimer Bau- und Planungsdezernentin Helga Sander.

Eigentümer stärker für Sanierungsziele verpflichten

Auf sechs Seiten erstreckt sich der Prüfbericht zur Gründung einer Mülheimer Stadtentwicklungsgesellschaft, die den Stadtumbau in der Innenstadt und in Eppinghofen nach Vorstellungen Wiecherings entschiedener vorantreiben könnte. Mittels einer städtebaulichen Sanierungsmaßnahme, einer Spezialität des Baugesetzbuches, ließen sich laut Wiechering Eigentümer stärker für Sanierungsziele verpflichten, die Stadt könnte über die Stadtentwicklungsgesellschaft den Prozess stärker in die eigenen Hände nehmen, unter anderem durch ein Vorkaufsrecht für Immobilien.

Ja, lautet das Prüfergebnis nun: Grundsätzlich seien Innenstadt und Eppinghofen aufgrund ihrer Schwächen in Bausubstanz und Funktion (viel Leerstand) geeignet, um ein besonderes Sanierungsprogramm daraus zu stricken. Aber: Daraus „ergeben sich finanzielle und personelle Anforderungen, die derzeit nicht abgebildet werden können“. Das Bau- und Planungsdezernat von Peter Vermeulen empfahl der Politik, alles beim Alten zu belassen, gegebenenfalls lediglich erweitert durch ein von der Kreditanstalt für Wiederaufbau gefördertes Sanierungsmanagement.

Wiechering: Vorerst keine weitere Initiative der SPD

Die SPD nahm dies „frustriert“ zur Kenntnis. Ihr planungspolitischer Sprecher Claus Schindler mahnte an, die Idee auf dem Schirm zu halten, es könnten sich schließlich im Zuge der Soli-Reformen im Bund neue Förderkulissen auftun. Außerdem könnten sich an einer Stadtentwicklungsgesellschaft private Kapitalgeber beteiligen. Fraktionskollege Wiechering denkt da etwa an die lokalen Wohnungsbaugrößen oder die Sparkasse.

Doch Wiechering sagt, dass vorerst mit keiner weiteren Initiative der SPD in der Sache zu rechnen sei. „Ich merke doch, dass die das nicht wollen, auch wenn die Argumente, die sie bringen, willkürlich herangezogen sind.“ Die – damit meint Wiechering wohl nicht nur das Baudezernat. Auch bei politischen Mitbewerbern stieß sein Vorstoß auf wenig positives Echo.

Es ist auch eine Frage der Gestaltungshoheit

Die ablehnende Haltung der Verwaltung könnte einen weiteren Grund haben. Es geht um die Gestaltungshoheit: Würde eine Stadtentwicklungsgesellschaft wie einst etwa zum Bau der Müga und zum Umbau der nördlichen Innenstadt installiert, wären mindestens Stadtplanung und Wirtschaftsförderung zu Kooperation gezwungen, beziehungsweise müssten Kompetenzen aus der Hand geben. Obwohl: Es spräche ja vielleicht nichts dagegen, wenn ein Chef-Wirtschaftsförderer die Geschäftsführung einer Stadtentwicklungsgesellschaft zusätzlich übernähme.

Darüber wollte der Planungsausschuss zuletzt gar nicht erst diskutieren. Wiechering ist ernüchtert: „Im Moment sehe ich nicht, dass sich da noch was bewegt.“

In Gelsenkirchen läuft Stadtsanierung im großen Stil 

Gelsenkirchen hat ein eigenes Finanzierungsmodell für seine Stadterneuerungsgesellschaft gefunden. Die Emscherstadt finanziert über Grundstücksverkäufe für eine Neubausiedlung in Buer die dringend nötige Sanierung des Quartiers rund um die Bochumer Straße in Ückendorf, eine der viel beschriebenen No-Go-Areas im Ruhrgebiet.

Chefin der Stadterneuerungsgesellschaft, die die Projekte steuert, ist Mülheims ehemalige Baudezernentin Helga Sander. Sie berichtet im Gespräch mit dieser Zeitung darüber, dass sie selbst „überrascht“ sei, wie effektiv und zügig der Stadtumbau mit dem Instrument einer städtebaulichen Sanierungsmaßnahme vorankomme.

25 Häuser hat Gelsenkirchens Stadterneuerungsgesellschaft schon erworben, um sie zu sanieren und zu lenken, wie die Immobilien genutzt werden.
25 Häuser hat Gelsenkirchens Stadterneuerungsgesellschaft schon erworben, um sie zu sanieren und zu lenken, wie die Immobilien genutzt werden.

Bis zu neun Millionen Euro für Sanierungsquartier

Mit dem Filetgrundstück in Buer fließen laut Sander 8 bis 9 Millionen Euro Gewinn zur Stadtentwicklungsgesellschaft. Diese setzt das Geld ein, um das Ückendorfer Problemviertel zu einem „jungen, lebendigen Quartier“ umzugestalten. „Wir erwerben Immobilien, sanieren sie und bringen neue Nutzungen rein, um dem Quartier zu neuer Lebendigkeit zu verhelfen“, sagt Sander, die ihren Job seit eineinhalb Jahren macht und hörbar begeistert davon ist, „wie erfolgreich die ersten Ansätze sind“. Studentenwohnen hat Sanders Gesellschaft etabliert. Zurzeit sitzt sie dran, junge Gastronomen dabei zu unterstützen, sich vor Ort selbstständig zu machen.

„Es ist wichtig, dass man selbst die Immobilien hat. Nur über die Immobilien kann ich die speziellen Angebote machen, günstig vermieten, Nutzungen lenken“, sagt Sander. 25 Häuser hat Gelsenkirchens Stadterneuerungsgesellschaft an der Bochumer Straße schon gekauft. Sie greift zu, wenn Gebäude am Markt sind oder in der Zwangsversteigerung.

Gesellschaft machte gegenüber Fonds Vorkaufsrecht geltend

Erst vor kurzem zog sie aber auch ihr Vorkaufsrecht, das per Satzung zum Sanierungsgebiet greift: Ein Fonds habe ein Haus erworben, habe aber die durch Satzung verpflichtende Sanierung verweigert, so Sander. Da habe die Stadtentwicklungsgesellschaft ihr Vorkaufsrecht durchgesetzt und saniere nun selbst.

„Ich bin mit einer Stadtentwicklungsgesellschaft viel flexibler als die Stadt selbst“, sagt Mülheims Ex-Dezernentin. Keine langen Verwaltungswege, keine aufwändigen Ausschreibungsverfahren – so etwas könne sie sich an ihrer alten Wirkungsstätte in Mülheim auch gut vorstellen, um in der Innenstadt zügiger voranzukommen: „Ich weiß ja noch, wie wir uns an der Innenstadt und insbesondere an den Eigentümern die Zähne ausgebissen haben.“