Mülheim. . Acht Autorinnen und Autoren sind für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Untergangsszenarien sind ein Thema. Fünf hoffen auf Kinderpreis.

Als Brücke zur Verkündung der nominierten Autorinnen und Autoren für den diesjährigen Mülheimer Dramatikerpreis wählte Jürgen Berger als Sprecher des Auswahlgremiums ausgerechnet das Heile-Welt-Gedicht „Nach der Zeitungslektüre“ von Christian Morgenstern, das er morgens in dieser Zeitung entdeckt hatte. „Aber so ist das leider nicht.“ Katastrophen, Untergangsszenarien, Angstbereitschaft und die allgemeine Verunsicherung sind die Themen dieses Jahrgangs. Eine weitere Tendenz zeigt sich darin, so Berger, dass sich die Autoren zunehmend den Klassikern aus der Theaterliteratur widmen. Alles zu sehen bei den 43. Mülheimer Theatertagen vom 12. Mai bis 2. Juni.

150 Stücke hatte das Auswahlgremium gesichtet und dabei festgestellt, „dass sich viele der Texte mit der Krisenhaftigkeit einer zunehmend deregulierten und von Autokraten regierten Welt beschäftigen.“ Kurzum, „die Welt, so der Eindruck, ist aus den Fugen.“

Die Nominierten im Überblick:

1 Und, um eine Frage zu beantworten, die den Stücke-Freunden unter den Nägeln brennt: Ja, Elfriede Jelinek ist mit „Am Königsweg“ zum 19. Mal nach Mülheim eingeladen. Darin hat die Literatur-Nobelpreisträgerin und viermalige Mülheim-Gewinnerin in gewohnter Eile auf „eine erschütternd absurde Wendung der Weltgeschichte reagiert“, so Berger. Es ist eine flammende Abrechnung mit dem amtierenden Präsidenten der USA, ohne auf über 100 Seiten auch nur den Namen zu nennen. Zwischen vier Inszenierungen des Stückes habe sich die Jury entscheiden müssen, so Berger. Ausgewählt habe man die Uraufführung vom Schauspielhaus Hamburg, „weil sie am meisten abbildet, was Elfriede Jelinek geschrieben hat.“

2 Während Thomas Melle vor zwei Jahren sein Debüt in Mülheim gab, hat er sich rasch zu einem gefragten Theaterautor entwickelt. Diesmal wurde er mit dem Sozialdrama „Versetzung“ und dem Thema der Ausgrenzung nominiert. Es geht um einen engagierten Lehrer, der wegen der Diagnose „Bipolare Störung“ kalt gestellt wird.

3 Erneut eingeladen wurde auch Rebekka Kricheldorf mit „Fräulein Agnes“. Darin schießt sich eine Bloggerin durch ihre penetrante Selbstgerechtigkeit selbst ins Abseits.

4 Ewald Palmetshofer, Dramatikerpreisträger von 2015, ist ein bekanntes Gesicht in Mülheim. In „Vor Sonnenaufgang“ (Theater Basel) hat er Gerhart Hauptmanns Sozialdrama von 1889 in die Hier- und Jetzt-Zeit geholt.

5 Simon Stone entdeckte Figuren, Motive und Geschichten aus den Theaterstücken von August Strindberg neu: Im dreistöckigen „Hotel Strindberg“ tobt der Geschlechterkampf zwischen den Paaren. Das Gastspiel von Burgtheater Wien/Theater Basel als Koproduktion, in der auch Martin Wuttke und Caroline Peters ein „Traumpaar“ abgeben, steht indes noch auf der Kippe: „Ich habe große Bedenken, ob die Inszenierung hier überhaupt realisierbar ist“, so Festival-Leiterin Stephanie Steinberg. Allein das opulente Bühnenbild mit einem dreistöckigen Hotel, einer hoch komplizierten Technik und Disposition – nach eingehender Prüfung müsse sich zeigen, ob das in Mülheim möglich sei.

6 Bei den „Stücken 2018“ sind gleich vier Mülheim-Debütanten am Start: Ibrahim Amir, ein in Aleppo geborener Arzt, ist syrischer Kurde und konnte seit einigen Jahren durch seine bitterbösen Komödien überzeugen, „in denen er Islam-Klischees unterwandert“, so Berger. In dem eingeladenen Stück „Homohalal“ proben ehemalige Flüchtlinge die hohe Harmonie im Zusammenleben mit Bio-Deutschen.

7 Erstmals nominiert wurde Thomas Köck mit dem letzten Teil seiner Trilogie „Paradies spielen“, weil er darin drei Handlungsstränge raffiniert verwebt und das Ganze mit dem Bild eines in den Abgrund rasenden ICE krönt, erläutert Berger: „Es ist sein bislang bester Text.“ Zu sehen in der Inszenierung vom Theater Mannheim.

8 Das umtriebige Thema „Angst vor dem Terror“ hat Maria Milisavljevic in ihrer Textfläche mit dem Titel „Beben“ beackert: Sechs Sprecher erzählen atemlos von Selbstmordattentätern, Amokläufern, und toten Flüchtlingen im Mittelmeer (Theater und Orchester Heidelberg).

Fünf Nominierte für den KinderStückePreis

Die Kinderstücke drehen sich vom 14. bis 18. Mai neben Themen wie Elternhaus und Schule um die „Relevanz sozialer Werte“, erläuterte der Autor Oliver Bukowski als Sprecher des Auswahlgremiums. Das Leben mit Migrationshintergründen, der Umgang mit Rassismus und Hass, Inklusion, Forschung und „nicht weniger als Leben und Tod inklusive ganzer Weltuntergangsszenarien“ sind die Stoffe, mit denen sich die Kindstücke-Autoren beschäftigt haben. „Ein Jahrgang, der reich an Themen, aber ärmer an Formen war.“

42 Stücke standen zur Auswahl. „Dabei haben wir nach Stücken geguckt, die metamorphorisch unverbraucht und frei von Stereotypen sind“, so Bukowski: „Texte, die theatrale Bilderwelten schaffen.“ Diese Kriterien sah das Gremium bei „Anfall und Ente“ von Sigrid Behrens erfüllt (Junges Theater Konstanz). Ein Verwirrspiel über Leben und Tod „mit poetischen Wendungen, das sprachlich etwas wagt.“ Eingeladen wurde auch Christina Kettering mit „Weiß ist keine Farbe“ (Comedia Theater Köln), das von falschen Vermutungen und den Folgen handelt.

Inklusion wird leicht und lakonisch

Thilo Reffert, bereits Preisträger, ist erneut dabei. In „Mr. Handicap“ (Junges Schauspiel Düsseldorf) wird mit Inklusion „ein schwieriges Thema leicht und lakonisch gemacht“, so Bukowski. Oliver Schmaering hinterfragt in „In dir schläft ein Tier“ die biologische Existenz, die wir haben. „Er schafft es, Wissenschaft und Forschung auf die Bühne zu bringen.“ Von Langeweile in der Kindheit erzählen Simon Windisch und Ensemble im Stück „Wie man die Zeit vertreibt“ vom Theater an der Rott.

>>>INFO: Übersetzerwerkstatt und Festival-Blog

Zu den 43. Mülheimer Theatertagen gibt es wieder ein Rahmenprogramm, eine Übersetzerwerkstatt mit Experten aus zehn Ländern von Ägypten über Bugarien bis Kanada und Japan.

Auf Kontinuität legt Festivalleiterin Stephanie Steinberg Wert. Zum dritten Mal wird der Festival-Blog von der Kulturjournalistin Sarah Heppekausen und dem Videojournalisten Alexander Viktorin betreut.