Mülheim. . Frauen, die vor dem Gang zur Polizei Angst haben, können Tat-Spuren anonym sichern lassen: in der Frauenklinik sowie drei gynäkologische Praxen.

Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, die Opfer großer Demütigung geworden sind, können zur Polizei gehen, den Täter anzeigen und Ermittlungen in Gang bringen. Viele Betroffene aber scheuen diesen Schritt, tun im Angesicht des Schreckens erst einmal gar nichts. Grund für ihre Zurückhaltung kann eine Abhängigkeit vom Täter sein, familiär, beruflich. Oder andere Beweggründe haben. Wer nach der Tat nicht direkt den offiziellen Weg einschlagen, vielleicht aber doch Spuren sichern lassen möchte, um später ein Verfahren gegen den Täter in Gang setzen zu können, kann sich ab sofort an vier verschiedene Stellen in der Stadt wenden.

Daten der Opfer aufwändig verschlüsselt

Die Frauenklinik am Evangelischen Krankenhaus hilft rund um die Uhr, berät und untersucht. Auch drei gynäkologische Praxen nehmen an dem neuen Projekt teil, stehen Betroffenen zur Seite. Sie alle arbeiten zusammen mit dem Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Düsseldorf, wo die per speziellem Spurensicherungsset abgenommenen Proben für bis zu zehn Jahre so sicher eingelagert werden können, dass sie tatsächlich in einem Prozess verwertet werden könnten.

Von „Anonymer Spurensicherung“ sprechen die Fachleute. Anonym deshalb, weil die Daten der Opfer aufwändig verschlüsselt werden und nur für den Fall der Strafverfolgung wieder zugänglich gemacht werden können. Bei den Spuren handelt es sich um Abstriche oder Abriebe, um Fotos von Verletzungen, um Haare oder Fingernägel, um Textilien, Urin oder Blut, womit sich Drogen wie K.-o.-Tropfen nachweisen lassen können.

Der Doktorvater wurde übergriffig

Warum die Angst vor dem offiziellen Weg groß sein kann, veranschaulichte beim Pressetermin die Gleichstellungsbeauftragte Antje Buck am Fall einer Studentin aus den USA: „Die Frau hat hier promoviert; ihr Doktorvater wurde übergriffig. Hätte sie ihn angezeigt, hätte sie ausreisen müssen.“ Nur die Promotion sei der Grund gewesen, warum sie sich in Deutschland aufhalten durfte. Daher habe sie sich entschieden, erst nach der Heimkehr gegen den Peiniger vorzugehen.

Über die anonyme Spurensicherung wird lange schon diskutiert, bis dato aber scheiterte sie daran, dass niemand für den gerichtsfesten Transport und die Einlagerung besagter Spuren aufkommen wollte. Das von Land und EU geförderte Projekt „Intelligentes Gewaltopfer-Beweissicherungs- und Informationssystem (igobsis)“ der Uniklinik Düsseldorf in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Medizinische Informatik der Dortmunder Fachhochschule sichert nun die Finanzierung – zumindest bis zum vorläufigen Projektende Mitte 2019.

Auskunft über den Zeitpunkt der Verletzung

Und igobsis bietet noch mehr, das wird im Gespräch mit Antje Buck, Anne Tank, Ärztin im Projekt, und Dr. Andrea Schmidt, Leiterin der Frauenklinik, deutlich. Da sich nur wenige Frauen nach einer Tat offenbarten, sich hilfesuchend an Arzt oder Ärztin wendeten, „sind diese Untersuchungen längst kein Alltag in einer gynäkologischen Praxis“, weiß Schmidt. Damit unerfahrene Mediziner den betroffenen Patientinnen dennoch wirklich helfen können, sie sicher sind im Dokumentieren der Spuren, finden sich auf dem Portal „Gobsis.de“ standardisierte Anleitungen: Schritt für Schritt wird beschrieben, wie Gewaltopfer zu untersuchen, wie Spuren zu beschreiben sind. Bei einem blauen Fleck zum Beispiel muss die Größe, die Form, die Lage, die Relation zum Körper hinterlegt werden. „Und die genaue Farbe“, so Schmidt, „denn die gibt Auskunft über den Zeitpunkt der Verletzung.“

Für Schmidt ist igobsis ein wichtiger Schritt, sie allerdings findet: „Es wäre an der Zeit, die anonyme Spurensicherung bundesweit auf gesunde Beine zu stellen.“ Im Prozess hänge viel von einer perfekten Dokumentation ab. Gelinge eine solche, könne das am Ende des Tages heißen: Deutlich mehr Täter werden zur Rechenschaft gezogen.

Weitere Informationen zum Projekt

>> Anonyme Spurensicherung bieten an: die Frauenklinik am Evangelischen Krankenhaus, Wertgasse 30,3 09 25 01, sowie die Frauenärztinnen Dr. Birgit Kleemann, Bahnstraße 4, 47 46 35, Dr. Eva Niedziella-Rech/Dr. Ursula Holthusen, Eppinghofer Straße 27, 47 09 77 und Dr. Nadja Klest/Vanessa Mischo, Paul-Kosmalla-Straße 7, 43 60 03.

Umfängliche Informationen über das Projekt auf gobsis.de