Mülheim. . Zum Luther-Jubiläum zieht Pfarrer Michael Manz von der Kirche ins Kino. Rund 100 Protestanten folgen Gottesdienst und Luther-Verfilmung.
Den Wein haben sie gegen süße Softdrinks getauscht und statt geschmacksneutraler Hostien wartet warmes Popcorn auf sie. Die Frage ist nur: salzig oder süß? Wo andere die Kirche im Dorf lassen wollen, hat der Styrumer Pfarrer Michael Manz seine mal in die Filmpassage verlegt. Erst Messe, dann Movie: Auf den Sonntagsgottesdienst folgt der Film „Luther“. In samtroten Sesseln, die eigentlich viel zu einladend sind, für kirchliche Rituale.
Und dennoch: Gut 100 Protestanten im Kinosaal sind am Sonntagnachmittag nicht nur wegen der gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre hier, sondern durchaus aus Glaubensgründen. Die Mülheimerin Renate Fenger hofft sogar auf einen vollen Saal - denn schließlich ist ganz Mülheim zur Messe mit Movie eingeladen. „Da ist ein Kinosaal schon angemessen.“
Fiktives Zwiegespräch
Der Chor „Good News“ inszeniert Ausschnitte aus dem Pop-Oratorium „Luther“, und Manz schlüpft kurzerhand ins Gewand des aufsässigen Reformators und stellt ihn im fiktiven Zwiegespräch mit einer Journalistin dar.
Dabei münzt Manz geschickt wie amüsant die Zitate als Seitenhiebe auf moderne Zeiten. Schulz ist aus Luthers Mund einer, der zum Schauspieler taugt, Seehofer ein „Esel“ und Lindner tut nur so, als wolle er die Sonne stürmen - ist aber, wenn’s schwierig wird, nicht mehr zu sehen. Das nährt den Mythos des spitzzüngigen Rebellen gegen die Obrigkeit. „Die Wahrheit ist ein scharfes Schwert“, schließt der Chor die politischen Hiebe ab.
Gegensätze könnten kaum größer sein
Die Erinnerung an den „Revoluzzer“ Luther im 500sten Jubiläumsjahr hat die evangelische Kirche offenbar noch experimentierfreudiger gemacht. Die Anregung zu der Verknüpfung von Film und Messe aber stammte von der Betriebsleiterin der Filmpassage Monika van Hüth.
Dabei könnten die Gegensätze andererseits kaum größer sein: Über dem Eingang der Filmpassage schwingt der nordische Gott „Thor“ imposant den Hammer. Während regelmäßig fiktive Superhelden um den Status Quo ringen, ist selten Platz für reale Revolutionäre – das Kino ist eben eine Traumfabrik und Inbegriff der Illusion. In der Kirche hingegen geht es stets um eine Wahrheit jenseits des Sichtbaren und Irdischen.
Ortswechsel ist kein Affront
Fern der philosophischen Betrachtungen – für den Styrumer Pfarrer und auch für viele Protestanten ist der Ortswechsel vom heiligen Boden auf profanisiertes Gefilde kein Affront. „Mein Vater ist früher in den Wald gegangen, wenn er keine Lust auf die Kirche hatte – da ist Gott auch zu finden, hat er dann gesagt“, erzählt Monika Domberger-Acht. Helga Severin freut sich schon auf den Film „Luther“, den sie immer mal sehen wollte – und auch die günstige Kinokarte für fünf Euro findet sie gut.
„Denn wo zwei oder drei versammelt sind ...“, zitiert Manz aus Matthäus. Was aber noch lange nicht heißt, dass der Ort „Kirche“ für den Pfarrer verzichtbar wäre. Im Gegenteil: „Dass Mancher meint, man müsse nicht in die Kirche gehen, um Gott nahe zu sein, ist auch wieder typisch deutsch. Hier spricht man eher noch über seine Sexualpraktiken als über seine Religion“, bedauert Manz, der nicht nur im Luther-Jahr gerne mal einen Knaller raushaut - zum Aufrütteln und wohl ganz im Sinne des Reformators.