Mülheim. Die Bürgerproteste gegen die Baumfällungen an der Leineweberstraße haben Erfolg. Das gefällt der SPD gar nicht. Sie stellt die Systemfrage.

  • Mülheims Planungspolitik hat mehrheitlich die Fällungen der Alleebäume an der Leineweberstraße abgelehnt
  • Im Planungsausschuss holte Claus Schindler (SPD) zur Generalkritik gegen Petitionäre und andere Fraktionen aus
  • Mit der Revision des Baubeschlusses sei ein Präzedenzfall geschaffen, der das System der repräsentativen Demokratie erschüttere

Petition, Unterschriftensammlung und angekündigtes Veto des Naturschutzbeirates gegen die Fällungen der Alleebäume an der Leineweberstraße haben Mülheims Planungspolitik mehrheitlich dazu bewegt, ihren Fällbeschluss von Dezember einzukassieren. Möglichst alle Alleebäume sollen erhalten bleiben. Das Wendemanöver bei CDU, BAMH und Grünen stieß auf heftige Kritik bei der SPD. Die sah gar einen Präzedenzfall geschaffen, der geeignet sei, die repräsentative Demokratie auszuhebeln – was ihr wiederum scharfe Vorwürfe seitens der politischen Konkurrenz einbrachte.

Von „Kahlschlag“ könne keine Rede sein

Claus Schindler als planungspolitischer Sprecher der SPD verschaffte dem Frust seiner Fraktion in einer extralangen Stellungnahme Raum. Er verwies im Planungsausschuss auf den langen, seit 2015 laufenden Planungsprozess samt Gestaltungswettbewerb für die Umgestaltung der Innenstadt-Straße, der im Dezember 2016 bei einer Gegenstimme der MBI in den Baubeschluss gemündet war. Schindler verwies darauf, dass ausdrückliches Ziel der Planungen doch der Erhalt und die Ausdehnung der Allee in Richtung Dickswall gewesen sei. Summa summarum hätte die Planung bei den anvisierten Neupflanzungen den Verlust eines einzigen Baumes bedeutet, von einem „Kahlschlag“ wie in der Online-Petition könne also keine Rede sein.

Er warf der Baumwatch-Gruppe als Initiatorin der Petition ebenso wie der CDU, die in ihrem letztlich erfolgreichen Änderungsantrag unsachgemäß auch von einer beabsichtigten „Fällung der 41 gesunden Platanen“ an der Leineweberstraße gesprochen hatte (tatsächlich sollten nur 20 fallen), Populismus vor und die Verbreitung „alternativer Fakten“. Schindler verteidigte die ursprünglichen Pläne. Sie seien ökologisch nachhaltig, weil sie etwa auch den Luftaustausch beförderten und damit eine Anreicherung von Stickoxiden verhinderten.

Wenige Bürger nutzten Beteiligungsrecht

Schindler ging noch weiter in seiner Kritik. Er warf den Petitionären und der politischen Konkurrenz vor, mit der Revision des Baubeschlusses einen Präzedenzfall zu schaffen, der das System der repräsentativen Demokratie in seinen Grundfesten erschüttern könne. Der SPD-Mann verwies darauf, dass bei frühzeitigen Informationsveranstaltungen nicht einmal eine Handvoll Bürger von ihrem Beteiligungsrecht Gebrauch gemacht hatten. Die Politik habe im Dezember ihren Beschluss unter Abwägung der Interessen getroffen. Schindler wie auch seine Parteifreunde Johannes Terkatz und Dieter Spliethoff stellten aktuell in Zweifel, dass der in der Petition und in der Unterschriftensammlung artikulierte Bürgerwille ein repräsentativer sei. Hier hätten wohl eher Wutbürger ihrem allgemeinen Unmut Luft verschafft, meinte Spliethoff. „Für mich sind Leute mit der Petition in die Irre geführt worden.“

hugo-140393643.jpg

Schindler erntete scharfe Kritik und Spott für sein Plädoyer gegen das „Umfallen“. „Man darf die laufende Diskussion der Bürger nicht einfach wegdrücken“, sagte Hansgeorg Schiemer (CDU). „Der Realität der Bürgerbeteiligung muss man sich mal stellen.“ Wenn politische Gremien den Bürgerwillen aufnähmen, sei dies „auch ein Zeichen von Stärke“. Annette Klövekorn (MBI) nannte Schindlers Äußerungen „befremdlich“, in ihnen stecke „ein ärmliches Demokratieverständnis“. Jochen Hartmann (BAMH) zeigte sich „entsetzt“. Er sah „einen Rückfall in dunkelste SPD-Betonzeiten“ und rechtfertigte die Abkehr vom Beschluss mit einem Adenauer-Zitat: „Wer hindert mich daran, jeden Tag klüger zu werden.“

Einzig Hubert Niehoff (Grüne) suchte die aufgeheizte Stimmung abzukühlen. „Alle haben ein bisschen Recht“, sagte er. Ursprüngliches Ziel sei eine nachhaltige Entwicklung der Allee gewesen, man müsse aber zur Kenntnis nehmen, dass viele Bürger den Erhalt aller Platanen einfordern.