Mülheim. . Bernard-Marie Koltès schrieb das Stück über einen realen Serienmörder vor 28 Jahren. Die Titelrolle ist gleich dreifach besetzt.

  • Das Junge Theater führt „Roberto Zucco“ auf erhält großen Applaus für eine gelungene Ensemble-Leistung
  • Mord ohne erkennbaren Zweck, ohne Motiv und ohne Vorteil ist in der Literatur ein beliebtes Thema
  • Es ist kein einfacher Text und daher umso erfreulicher, wie eindringlich und konzentriert der Abend gelingt

Zuerst wird der Mann geschubst, dann erhält er eine Ohrfeige und schließlich wird er von dem Trio in grauen Feinripp-Unterhemden niedergerungen und erdrosselt. Der Vatermord stand am Anfang der kriminellen Laufbahn des 19-Jährigen, der zum gefürchteten und meistgesuchten Mörder in Frankreich avancierte und im Gefängnis schließlich Selbstmord beging.

Ihn drei Mal zu besetzen, ist ein genialer Kniff des Jungen Theaters, denn so werden die Zerrissenheit und unterschiedlichen Facetten dieser verlorenen Figur deutlich und es belebt in diesem monologlastigen Stück von Bernard-Marie Koltès die Szene. Die drei Akteure des Theaters ringen auch zwischendurch miteinander. „Nein, Nein, Nein“, ruft einmal Manon Charrier aufgeregt und schlägt sogar Felix Markgraf, als dieser seine Identität preisgeben möchte, was ihm zum Verhängnis werden wird. Shehab Fatoum, der als syrischer Flüchtling über die Ruhrorter-Projekte zum Jungen Theater fand, ist derweil mit anderem beschäftigt.

Auch das Gladbecker Geiseldrama aufgegriffen

In seinem letzten, posthum an der Berliner Schaubühne von Peter Stein uraufgeführten Stück greift Koltès, dessen „Rückkehr in die Wüste“ Roberto Ciulli vor zwei Jahren auf die Bühne brachte, einen realen Fall auf, dessen Namen er nur von Roberto Succo in Zucco veränderte. Mit dem Leben des Serienmörders hat sich Koltès intensiv befasst und viele Aspekte, die er künstlerisch bearbeitete, in sein Stück übernommen. Auch das Gladbecker Geiseldrama, der Regisseur Luc Bondy versorgte den Autor mit Information dazu, griff er auf. Mord ohne erkennbaren Zweck, ohne Motiv und ohne Vorteil ist in der Kunst und der Literatur ein beliebtes Thema.

Die Reaktionen auf dieses nihilistische Stück, das keine Hoffnung lässt, blieben zwiespältig und einige Äußerungen von Koltès dazu irritierend. Theaterpädagoge Bernhard Deutsch konzentriert sich mit den jungen Akteuren auf die Einsamkeit und Haltlosigkeit der Figur. „Liebe ist das einzige, was im Leben zählt“, heißt es einmal. „Es interessiert sich sowieso keiner für keinen. Keiner“. Das verbindet Zucco mit dem Mädchen, das ihn, die Warnungen waren ja berechtigt, an die Polizei verraten wird. Dass auch sie eine Verlorene ist, deutet Marie Zoe Jakobi als ihr betrunkener Vater durch das Spiel mit Bierflaschen an. Wie prekär die familiäre Situation ist, wird im umfangreichen Text von Koltès noch viel expliziter, wobei die poetische Eleganz, mit der dieser formuliert, immer wieder beeindruckt.

Eine Hommage an Shakespeares Nachtwachen

Also kein einfacher Text, es ist daher umso erfreulicher, wie eindringlich, konzentriert und flüssig der Abend gelingt. Neben den Akteuren (die Spanne reicht von 16 bis 25 Jahre) hat auch die spannungsvolle und stimmungsvolle Musik der Essener Band Bolt, die den Zuschauer in das Geschehen zieht, daran ihren Anteil.

Am Anfang stehen in einer grotesken Szene drei Gefängnisaufseher auf der Bühne, eine Hommage an Shakespeares Nachtwachen. „Hast du was gehört?“ – „Nein, nichts“ -- „Du hörst nie was“ – „Du stellst dir nie was vor, deswegen hörst du nie was und siehst du nie was“ – „Das wir hier sind, ist völlig sinnlos, deswegen brüllen wir uns am Ende immer an.“ Und Zucco entkommt doch. Der Höhpunkt ist aber die Entführungsszene einer Frau. Der kritische Moment scheint gelöst, da erschießt Zucco den Sohn der Frau. Erschütternd.

Großer Applaus für eine gelungene Ensemble-Leistung.