Recklinghausen. Bei den Ruhrfestspielen begeistert Roberto Ciulli mit seiner Interpretation des Stückes “Rückkehr in die Wüste“ von Bernard-Marie Koltès. Das Publikum bleibt allerdings mit einigen Zweifeln zurück. Wie etwa dieser: Ist Heimat der Ort, wo man nicht ist?

Da kommt eine Frau nach 15 Jahren aus Algerien zurück – in eine Stadt, von der nicht mehr zu sehen ist als eine Mauer, die schon in Kniehöhe weggebröckelt ist, ein Olivenbaum und eine Sandfläche, über die sich die Menschen schleppen, in der sie Boule spielen, mit Schwung Reitgerten versenken, Schuhe putzen oder sich verstecken werden. Die Bildlichkeit von Gralf-Edzard Habbens Bühne ist überdeutlich, hier handelt es sich um eine „Rückkehr in die Wüste“, wie das Stück von Bernard-Marie Koltès denn auch heißt, das Roberto Ciulli mit seinem Mülheimer Theater an der Ruhr jetzt für die Ruhrfestspiele Recklinghausen in Szene gesetzt hat.

Schmutzige Kriege überall

Die Wüste macht das Fortkommen schwer, ihr Sand setzt sich in jedes Getriebe, sie tötet den Geist und begräbt das Leben unter sich. Die Wüste, ließe sich mit einer Abwandlung von Sartres Satz über die Hölle sagen: Das sind die anderen. Allen voran Ma­thildes Bruder Adrien (Steffen Reuber macht daraus einen wildgewordenen Kleinbürger voller Nationalismus und Machismo). Adrien hat Mathilde damals nach dem Zweiten Weltkrieg denunziert als Deutschen-Liebchen, so dass ihr kaum etwas anderes blieb als mit ihren beiden Kindern nach Algerien zu gehen. Aber dort tobt nun ein schmutziger Krieg, die Kolonialmacht verteidigt ihre Beute. Und Mathilde Serpenoise (durchsetzungsstark auf weibliche Art: Petra von der Beek) macht Adrien die Fabrik der Eltern streitig, die er sich gemeinsam mit seinem Sohn Mathieu unter den Nagel gerissen hat. Da liegt Rache in der Luft, und ein Krieg der Generationen bricht ebenfalls auf, Fremdenhass befeuert beide Seiten.

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Koltes’ Stück macht diese Situation zur Grundlage für sarkastische, bitter-groteske Dialoge von großer Feuerkraft. „Wie ist der Tod?“ – „Man braucht kein Geld mehr.“

Aber Ciulli bricht den Giftpfeilen mehr als einmal mit poetischen Bildern und der subtilen Musik von Matthias Flake die Spitze. Am Ende wird Mathilde dem über seinen Schnürriemen verzweifelnden Adrien fürsorglich die Schuhe binden, damit sie gemeinsam die beiden Koffer nehmen können, die da schon seit einer halben Ewigkeit im Sand warten. Sie gehen fort, werweißwohin.

Wie Klaus Herzog als Plantrières und Rupert J. Seidl als Borny irrlichtern auch die anderen Darsteller oft durch dieses pausenlose Zwei-Stunden-Stück, rätselnd lauter Rätsel aufgebend, so dass am Ende vor allem Zweifel bleiben. Und der vom utopischen Denken inspirierte Verdacht: „Ist die Heimat der Ort, wo man nicht ist?“ – Freundlicher, sehr lebhafter Premierenbeifall.

Weitere Aufführung: 8. Juni, 20 Uhr. Karten: Tel. 023 61 /92 18 0; oder www.ruhrfestspiele.de. Ab Mitte September auch wieder im Theater an der Ruhr.