Mülheim. . Seit 90 Jahren starten die Schiffe der Weißen Flotte zu Ausflugstouren am Wasserbahnhof ins grüne Flusstal. Ein Rückblick zu den Anfängen.
Seit Jahrhunderten ist die Ruhr die Lebensader der Stadt. Sie versorgt die Menschen mit Fischen, dient als Transportweg und Abfallbeseitiger. Doch die Zeiten wandeln sich. Die Ruhr ist jetzt ein beachteter Trinkwasserfluss. Helle Fahrgastschiffe haben die Aaken, die einst das Schwarze Gold zur Rheinmündung befördern, abgelöst. Demnächst besteht die Weiße Flotte 90 Jahre. 1927 haben ihre Gründer Mut und Weitblick.
Das geht aus einer Arbeit hervor, die Kai Rawe, Leiter des Stadtarchivs, zu einem kurzweiligen Referat ausgearbeitet und mit vielen Motiven alter Postkarten angereichert hat. Der Saal im Haus der Stadtgeschichte ist bis auf den letzten Platz besetzt. Die Mülheimer verbindet viel mit den Ausflugsschiffen. Die Weißen Flotte gehört zur Stadt wie der Fluss. Sie dient seit ihrer Gründung als Werbeträger. Publikationen der Stadt ohne Weiße Flotte gibt es selten.
Ein geografischer Vorteil
„Die Lage am Fluss war ein geografischer Vorteil, der unsere Stadtentwicklung immer begünstigt hat“, stellt Kai Rawe die Bedeutung des Flusses heraus. Sie ist von der Rheinmündung bis zur Broicher Schlagd schiffbar. Weiter flussaufwärts versperren Stauwehre für die Mühlen die Durchfahrt. Schleusen folgen erst später. Schnell entwickelt sich die Ruhr zum wichtigsten Transportweg für Kohle. Dieser Boom endet erst, als 1862 die Bergisch-Märkische Eisenbahn die Stadt erreicht und die Zechen Bahnanschlüsse erhalten.
Die Anfänge der Personenschifffahrt entdeckte Rawe in Mülheimer Akten Mitte des 19. Jahrhunderts. „Auf Betreiben des damaligen Bürgermeisters Wilhelm Oechelhäuser wurde zum 30. Dezember 1852 die ,Ruhr-Dampfschifffahrts-Gesellschaft’ gegründet.“ Mit einer Propagandafahrt überzeugt er die Zweifler von der Idee, zwischen Ruhrort und Werden einen regelmäßigen Personenschiffsverkehr zu etablieren. Die erste „Mülheim an der Ruhr“ startet laut Rawe am 17. Juli 1853 zur Jungfernfahrt.
Fünf Zentimeter zu viel Tiefgang
Aber die Mülheim hatte fünf Zentimeter zu viel Tiefgang und sie konnte bei dem häufigen Niedrigwasser der Ruhr nicht fahren. Es folgen zwei weitere Schiffe. Aber die Passagiere bleiben aus, weil sie in damals kaum Freizeit fürs Vergnügen haben. 1857 wird die Gesellschaft liquidiert. Nach dieser ernüchternden Pleite versuchen es private Unternehmer mit eigenen Schiffen. Auch sie haben wenig Erfolg. Ein Schiff wird sogar im Schleusenkanal nach einer Feier versenkt, schildert Rawe.
Nach dem Ersten Weltkrieg und der Ruhrbesetzung beginnt in Mülheim eine neue Ära Der damalige Oberbürgermeister Dr. Paul Lembke will Mülheims große Tradition als Schifferstadt fortsetzen. Er treibt den Ausbau des Hafens voran. Aber der erhoffte wirtschaftliche Erfolg bleibt aus. Duisburg wird größer.
Gleichzeitig betreibt Lembke den Umbau der Schleuseninsel, was ein Kapitel für sich darstellt. Lembke schafft es in dieser Zeit, die Wasserwerksgesellschaft mit ins Boot zu holen, so dass die Stadtverordneten bereits am 16. Dezember 1926 die Gründung einer Gesellschaft für die Personenschifffahrt auf der Ruhr absegneten.
Rund 140 Personen fassen die Boote
Als am 8. Juli 1927 der Wasserbahnhof eingeweiht wird, starten dort auch die Schiffe der „Mülheimer-Ruhrschifffahrtsgesellschaft“ ihre Fahrten. Rund 140 Personen fassen die Boote und heißen Mülheim und Kettwig. Bis 1929 kommen die Oberhausen, Vest Recklinghausen, Mintard, Sterkrade und Essen hinzu. 1928 wird ein Doppeldecker-Ausflugsschiff für 400 Personen in Dienst gestellt. Dieser „Superdampfer“, so Rawe, wird auf den Namen des damaligen Oberbürgermeisters getauft. Die „Oberbürgermeister Lembke” kann aber nur ab Wasserbahnhof Richtung Raffelberg fahren.
In den aufblühenden 1920er Jahren sind die acht Ausflugsschiffe auf der Ruhr für die Mülheimer genau das Richtige. Ausflüge und Vergnügen am Fluss kommen an. Die Weiße Flotte etabliert sich, ermöglicht auch den „kleinen Leuten“ einen Sonntagsausflug vor der Haustür. In der Saison 1928 sollen 487.000 Fahrgäste mit den Schiffen unterwegs gewesen sein.
Es folgen weitere gute Flottenjahre. Die Nazis missbrauchen die Weiße Flotte sogar für ihre Werbung. Im Zweiten Weltkrieg werden viele Schiffe beschlagnahmt und gehen verloren. 1947 beginnt ein zaghafter Neustart auf der Ruhr mit der sanierten „Essen“. 1949 wird der Wasserbahnhof wieder eröffnet, der vorher den Briten als Offizierscasino dient. Im gleichen Jahr zählt die Weiße Flotte bereits 244.549 Passagiere.