Mülheim. . In keiner anderen NRW-Stadt sind die Zahlen seit 2007 so stark gestiegen wie in Mülheim. Die Sozialagentur nennt einen überraschenden Grund.
- Landesweit nimmt Mülheim bei der Entwicklung der Kinderarmut eine negative Spitzenstellung ein
- Die entsprechende Mindestsicherungsquote ist von 20,2 Prozent (2007) auf 28,9 Prozent gestiegen
- Mittlerweile gibt es in NRW nur noch sieben Großstädte, die eine höhere Quote ausweisen
Die nun von den NRW-Statistikern veröffentlichten Zahlen zur sozialen Mindestsicherung bergen gesellschaftlichen Sprengstoff in sich: Immer mehr Kinder leben in Haushalten, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen sind. Besonders auffällig hierbei ist der Trend in Mülheim: Nirgendwo sonst im NRW ist die Kinderarmut seit 2007 so stark angewachsen wie hier. Mehr als jeder vierte Minderjährige in Mülheim wächst mittlerweile unter Armutsbedingungen auf.
Die von der Landesstatistik veröffentlichten Daten sprechen Bände. Betrug der Anteil der Minderjährigen, die von Hartz IV leben, Ende 2007 noch 20,2 Prozent, so lag jene so genannte Mindestsicherungsquote zum Ende des Vorjahres bereits bei 28,9 Prozent. Ein derart rasantes Tempo ist mindestens landesweit einmalig.
In der Innenstadt sind zwei von drei Kindern bedürftig
Bei der Stadt Mülheim gibt es ähnliche Auswertungen, allerdings sind sie auf die Unter-15-Jährigen konzentriert. Hier zeigt sich, dass in der Innenstadt gar eine Höchstquote von fast 66 Prozent erreicht wird. Heißt: Von drei Kindern im Innenstadtbereich wachsen zwei unter Armutsbedingungen auf.
Für Eppinghofen (58,5 Prozent), Styrum-Süd (49,9 Prozent), Styrum-Nord (45,2 Prozent) und rund ums Dichterviertel im Bezirk Altstadt-Südost (42,5 Prozent) sind ähnlich hohe Armutsquoten ausgewiesen. Hingegen ist in Menden, Ickten, Teilen von Holthausen und Raadt Kinderarmut laut Statistik kaum messbar.
Nur sieben Großstädte noch mit höherer Quote
Mülheim ist bei der Entwicklung der Kinderarmut landesweit besonders negativ unterwegs. Mittlerweile gibt es im Land nur noch sieben Großstädte, die eine höhere Mindestsicherungsquote ausweisen. Selbst Oberhausen, Bochum oder Herne, die mit deutlich schlechteren Arbeitsmarktdaten daherkommen, weisen niedrigere Quoten aus.
Woran liegt das? Die Antwort von Dr. Jennifer Neubauer von Mülheims Sozialagentur klingt so: Das exorbitante Wachstum sei damit zu begründen, dass Mülheim sich in der jüngeren Vergangenheit besonders intensiv darum verdient gemacht habe, versteckte Armut aufzudecken. Neubauer zählt dazu das Engagement der Stadt und ihres sozialen Netzwerkes, die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket dorthin zu lenken, wo sie gebraucht werden. Tatsächlich, so belegen Zahlen, die Neubauer präsentiert, ist dies in Mülheim weit über die Maße gelungen.
Stadt bewirbt Bildungs- und Teilhabepaket
In Kitas und Schulen habe die Sozialagentur gemäß politischem Auftrag breit aufgeklärt zu den komplexen Hilfen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, so hätte sich vielfach bei Familien ein Leistungsanspruch aufgetan, den die Betroffenen zuvor bei der Behörde gar nicht angemeldet hatten. Insbesondere sei dies häufig der Fall bei Ernährern gewesen, die ihren Lebensunterhalt „mehr schlecht als recht“ mit einer oder mehreren geringfügigen Beschäftigungen bestreiten.
Für Neubauer ist die Negativentwicklung nicht am Tiefpunkt angelangt. Sie werde sich absehbar noch stärker in der Statistik ablesen lassen, da immer mehr Flüchtlinge in den Hartz IV-Bezug kommen. Auch der Armutszuzug aus EU-Ländern werde sich auswirken. Die überörtliche Politik sei gefragt. „Wir brauchen viel mehr Investitionen in Bildung und Chancengleichheit, um Kinder vor den negativen Folgen von Armut zu schützen“, so Neubauer.