Mülheim. . Nachkommen des Kaffeerösters Wilhelm Schmitz-Scholl entwickelten von der Ruhr aus ein Unternehmen mit eigenen Produktionsstätten, Vertriebswegen und Verkaufsstellen.

„Wenn jemand von Mülheim an der Ruhr hört, denkt er an Kohle und Eisen. Es wird jedoch nicht so bekannt sein, dass die Ruhrstadt auch im Kaffeehandel mit an der Spitze steht. Nur wenige Mülheimer werden sich daran erinnern, dass vor mehr als 80 Jahren im Winkel von Delle und Ruhrstraße der Grundstein für das Kaffee-Imperium Tengelmann gelegt wurde.“ Das alles steht im vierseitigen Faltblatt, welches das Handelsunternehmen Tengelmann zur Eröffnung seiner ersten Mülheimer Filiale, Kohlenkamp 23, seinen Kunden offeriert. Es ist an einem Freitag, 29. April. Das Jahr steht nicht in der Chronik.

Aus der Kaffeerösterei mit einer kleinen Maschine ist ein Großunternehmen gewachsen, mit eigenen Fabriken, Herstellerwerken, zahlreichen Filialen in Deutschland und vor allem mit beinahe weltweiten Handelsbeziehungen. Sie bringen Rabatte bei Großeinkäufen der Rohstoffe, deren veredelte Produkte in den eignen Läden verkauft werden. Bereits 1856 gründet Wilhelm Schmitz mit Ludwig Lindgens ein Kolonialwarengeschäft, das mit den Ruhrschiffen arbeitet, die Kohle in holländische Häfen bringen, auf der Rückfahrt mit Kaffee und Waren beladen wieder in Mülheim anlegen. Elf Jahre später steigt Lindgens aus diesem Geschäft aus und widmet sich der Lederverarbeitung.

Betrieb wurde verlagert

Unter Wilh. Schmitz-Scholl führt Schmitz die Firma mit seiner Frau Luise Scholl weiter. Mülheim gilt um 1867 bereits als Handelsplatz, der „die ganze Grafschaft Mark, Dortmund und andere Orte mit holländischen Waren wie Oel, Thran gesalzenem Fischwerk, Kaffee und Tee versähe“. 1882 veredelt Schmitz in der eigenen Rösterei an der Ruhrstraße die Bohnen selbst, bevor er sie verkauft: „Warenimport und Verarbeitung gehören in eine Hand.“ Der Schmitz-Schollsche Kaffee kommt bei den Kunden bestens an. Die Rösterei verarbeitet 1885 bereits mehr als 1000 Pfund pro Tag. Zwei Jahre später wird der Betrieb an den Stadtrand verlagert. Mehrere Ruhrhochwasser beschleunigen den Umzug, weil sie teilweise die Lagerbestände vernichten.

In dieser Zeit startet auch Josef Kaiser in Viersen mit diesem Geschäftsmodell, röstet Bohnen und verkauft sie in Kaffeeläden. Die Wege beider Familien sollen sich 90 Jahre später geschäftlich vereinen.

Erfolgreiches Konzept

Als Wilhelm Schmitz 1887 stirbt, übernehmen seine Söhne Karl und Wilhelm jun. die Firma und etablieren „Plantagenkaffee“ und „Storch-Kaffee“. Weil die Auslieferung mit Fuhrwerken teuer ist und „mangelnde Sorgfalt bei der Warenpflege in den Geschäften zu Vertrauensverlusten und Absatzeinbußen“ führen, gründen die Brüder kurz entschlossen unter einem neuen Namen ein eigenes Vertriebs- und Filialnetz. Sie benennen es nach ihrem Prokuristen Emil Tengelmann. Am 16. Juni 1893 erfolgt die Eintragung der Firma in das Bochumer Handelsregister.

„Dieses Konzept ist erfolgreich. Das neue Unternehmen floriert“, steht in der Firmenchronik. Schnell bauen die zwei Mülheimer Kaufleute das Filialnetz aus. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dezentralisieren sie die Röstereien, verkürzen damit die Transportwege ihrer Fertigprodukte in die Filialen. Süßwaren, bezogen von Fremdfirmen, erweitern bald das Angebot.

Um weiter „alles aus einer Hand“ an ihre Kunden zu bringen, bauen die Großhändler eine Schokoladenfabrik in Broich. Als diese 1912 die Produktion aufnimmt, wird an der Ulmenallee auch die neue Firmenzentrale bezogen, die bis heute Sitz der Handelsgruppe ist. Wahrscheinlich entsteht dort gleichzeitig der erste Fabrikverkauf (Ulmenallee 28). Auch darüber gibt es kein konkretes Chronikdatum.

Kunden pfeifen auf Schonung der Umwelt

Klar ist nur: Bis in die 1950er Jahre betreibt Tengelmann nur zwei Filialen in der Heimatstadt (Ulmenallee und Kohlenkamp). In Düsseldorf oder Berlin gehört die Handelskette jedoch schon lange zu „den guten Geschäften mit den feineren Produkten“. 1953 eröffnet Tengelmann in München den ersten Selbstbedienungsladen. Auch in Mülheim wird das Filialnetz dichter, wächst in die Stadtteile. Immer sind die Firmenerben und -lenker daran interessiert, die Produktions- und Vertriebswege zukunftssicher zu ordnen.

Das goldgelb-rote „T“ – ein stilisierter Brunnen – leuchtet fast in jeder deutschen Stadt sowie im Ausland. Die Tengelmann-Chefs setzen auf Tier- und Umweltschutz, der Konkurrenz oft einen Schritt voraus.

Kleine Preise zählen mehr

Schildkrötensuppe und ähnliche Produkte fliegen 1985 aus dem Sortiment. Mit dem Klimamarkt – komplett CO2-frei – an der Koloniestraße setzt Tengelmann den nächsten Meilenstein in diese Richtung, das „T“ in Grün kommt hinzu. Mehr Kunden zieht das jedoch nicht. Die Mehrheit pfeift auf Tierschutz und die Schonung der Umwelt. Kleine Preise zählen mehr als gutes Klima.

Heute gehören die OBI-Baumärkte und die Kik-Textilkette zum Handelsunternehmen an der Wissollstraße, geleitet von der fünften Generation. In 2003 verkauft Tengelmann die Wissoll-Schokoladenproduktion. Die Discounter-Tochter Plus vereint sich in 2009 mit der Edeka-Tochter Netto. Seither laufen auch Fusionsversuche von Kaiser’s Tengelmann und Edeka.

Inzwischen machen die 451 Kaiser’s Tengelmann-Filialen jährlich Millionenverluste und sollen den Besitzer wechseln, viele davon wahrscheinlich eher schließen. Der Kampf unter den Handelsriesen ist ruinös. Das Tengelmann-T leuchtet wohl bald nicht mehr...