Essen.. Der Nachfahre eines Pensionswirts bat die Essener Aldi-Gründer um Erinnerungen aus ihrer Kindheit. Das Unglaubliche geschah: Es kam Post.

Das Schweigen der Essener Brüder Albrecht ist legendär. Auf eine Anfrage persönliche Briefe von beiden zu erhalten – so wahrscheinlich wie ein Lottogewinn. Josef Gieß aus Sundern ist es gelungen. Er hatte die Aldi-Gründer an ihre Kindheit erinnert, an einen Urlaub im Sauerland. Mit wenigen Zeilen bewiesen Karl und Theo, wie gut sie noch im hohen Alter Familiengeschichte erzählen konnten. Hätten sie’s doch ausgiebiger getan!

Es war um 1985, da sprach Gieß‘ Schwiegervater Josef Blöink, „nach dem vierten Bier“, zum ersten Mal davon: Die Albrechts hatten gut 50 Jahre zuvor ein- oder zweimal in Lüdingheim Ferien gemacht. Der abgelegene Ort im Hochsauerland bestand und besteht aus drei Bauernhöfen. Einer davon gehörte Blöinks Eltern, und die verdienten sich mit Fremdenzimmern ein bisschen was dazu. Josef Blöink konnte sich noch gut erinnern, wie er mit den etwas jüngeren Albrecht-Söhnen gespielt hatte. Dem Schwiegersohn ging diese Geschichte nicht mehr aus dem Kopf. Man hört ihm an: Er bewundert die erfolgreichen Albrechts, und es macht ihn ein wenig stolz, dass sie einst in „seinem“ Sauerland Urlaub gemacht haben.

Gleichlautende Briefe an die Albrecht-Brüder

2006, der Schwiegervater war längst tot, schrieb Josef Gieß im Namen seiner Frau und ihrer Schwestern zwei gleichlautende Briefe an die Albrecht-Brüder, nur unterschieden durch die Vornamen und die Adressen, nämlich Aldi Nord in Essen und Aldi Süd in Mülheim. Man überlege, eine Chronik des bald 480 Jahre alten Lüdingheimer Hofes zu schreiben – ob die Brüder Albrecht vielleicht ein paar Erinnerungen beisteuern könnten?

Es dauerte nur zwei Wochen, da kam eine freundliche Antwort von Theo Albrecht. Bei Karl musste Josef Gieß nachhaken – der erste Brief war wohl verloren gegangen. Dann antwortete auch Karl Albrecht. Mit zwei Briefseiten statt einer gab er sich, wie stets, etwas gesprächiger als sein Bruder.

Beide Brüder erinnerten sich sofort und gern an den Urlaub im Sauerland, an Tiere, Werkstatt, Teich und an Raubvögel am blauen Himmel. Besonders fasziniert waren beide von einer kleinen Anlage, mit der die Bauersleute hinter dem Haus dem nahe vorbeifließenden Bach elektrische Energie abgewannen. Elf oder zwölf müsse er damals gewesen sein, schrieb Karl Albrecht. Das wäre 1931 oder 1932 gewesen. Angereist seien sie mit der Bahn; „wo wir ausstiegen, weiß ich nicht mehr.“ Es dürfte in Eslohe gewesen sein, sagt Josef Gieß; die Strecke ist längst stillgelegt. Dafür wusste Albrecht genau, „dass wir im Automobil abgeholt wurden. Das war für uns Jungen, die in einem Haushalt ohne Auto aufwuchsen, schon etwas Besonderes.“ Gieß hat ein passendes Foto gefunden mit dem „ersten Auto“ der Familie, einem Opel. Die Ferien haben Karl und Theo vor allem mit der Mutter verbracht: „Vater musste sich zu Hause ums Geschäft kümmern und kam nach meiner Erinnerung nur zum Wochenende ins Sauerland“, schrieb Karl Albrecht und widerlegt in einem Satz die übliche Mär, dass allein die Mutter den Laden betrieben hätte.

Ausgewählt wurde die Pension in Lüdingheim, „weil die Entfernung nicht allzu groß war und, das soll nicht verschwiegen werden, Ihr Haus damals ein wirklich gutes Preis-Leistungsverhältnis aufwies. Das hat Mutter mehrfach betont.“ Die Preise, laut Fremdenführer von 1935, sind tatsächlich niedriger als bei der Konkurrenz: Übernachtung kostete 1,50 Reichsmark. Vollpension gab’s für drei Reichsmark, und das „Große Wochenende“ schlug mit sechs Reichsmark zu Buche. Geboten wurden: Autohalle, Bad, elektrisches Licht, Gesellschaftsraum, Wasserspülung. Das Fehlen einer Zentralheizung war im Sommer wohl zu verschmerzen.

Lebensmittelknappheit und stagnierende Löhne

Auch der gängigen Geschichte einer ärmlichen Kindheit widerspricht Karl Albrecht in diesem Zusammenhang: „Meine Eltern hatten ein mittelgroßes Lebensmittelgeschäft in Essen-Schonnebeck. Uns ging es nicht schlecht, aber wir mussten ganz schön rechnen.“ Der „Weltwirtschaftskrise, die dann kam“, schrieb er es zu, dass die Familie sich später solche Urlaube nicht mehr habe leisten können. Vielleicht meinte er Endphase und Nachwehen der 1929 einsetzenden Krise – oder die wirtschaftlichen Probleme der frühen NS-Jahre: Lebensmittelknappheit und stagnierende Löhne bei immer noch recht hoher Arbeitslosigkeit könnten einem Lebensmittelgeschäft schon zugesetzt haben.

Getippt sind beide Briefe offensichtlich von Bürokräften, unter den jeweiligen Firmenadressen. Aber der Stil ist herzlich, und beide Brüder haben persönlich unterzeichnet. Theo Albrecht nutzte einen vorgedruckten Briefbogen als „Mitglied des Verwaltungsrates der Aldi GmbH und Co KG“. Der passende Umschlag zeigt, anders als der Bogen, noch die alte Postleitzahl, durchgestrichen und korrigiert. Dreizehn Jahre nach Umstellung der Leitzahlen. Ganz so, wie man es mehrfach über Theo Albrecht gelesen hat, als Beispiel für seine sprichwörtliche Sparsamkeit. Man könnte aber auch daraus schließen, dass vom Aldi-Einkauf irgendwann mal viel zu viele dieser Umschläge geordert worden waren. Ob die Karriere des betreffenden Angestellten das überlebt hat?

Hobbyhistoriker Gieß hütet die beiden Briefe jedenfalls wie einen Schatz. Und das sind sie auch, angesichts ihres Seltenheitswertes – so recht etwas fürs Essener Aldi-Museum, wenn es denn je kommt.