Mülheim. . Soll die Stadt Mülheim, die im Finanzmanagement schon so manchen Irrweg beschritten hat, bei der Umschuldung auf Anleihen setzen?

  • Mülheims Stadtkämmerer sieht in Anleihen alternative Finanzierungsformen
  • Teile der Politik sind skeptisch, verweisen auf die Pleite mit Wetten
  • Entscheidung soll am Donnerstag im Stadtrat fallen

Die Stadtkämmerei plant in großem Stil einen Einstieg in kommunale Anleihen, um sich frisches Geld für die laufenden Ausgaben zu besorgen. Das Ansinnen aber, sich von der Finanzpolitik ermächtigen zu lassen, künftig frei über ein Volumen in Höhe von 250 Millionen Euro entscheiden zu können, scheiterte zunächst am Misstrauen der Politik.

Über eine Milliarde Euro an kurzfristigen Verbindlichkeiten, den sogenannten Kassenkrediten, haben sich bei der Stadt längst aufgetürmt. Das städtische Finanzmanagement sieht derweil seit dem Jahr 2010 den Trend, dass immer weniger klassische Kreditinstitute bereit sind, Kommunalkredite zu gewähren.

Essen als Vorbild

Nach dem Vorbild anderer Ruhrgebietsstädte, allen voran Essen, will die Stadt nun also zur Umschuldung Kommunalanleihen herausgeben. Die Finanzpolitik ist ob einer dürftigen Beschlussvorlage, die die Kämmerei zum Thema erstellt hat, skeptisch. Ihre Zustimmung, die nun auf die Ratssitzung am Donnerstag verschoben ist, knüpft sie insbesondere mit Blick auf die schiefgelaufenen Geldgeschäfte der Vergangenheit (Derivate, Kredite in Fremdwährung) an Bedingungen.

Nach dem Desaster insbesondere mit Derivatgeschäften (Wetten auf Zins- und Wechselkursentwicklungen) ist die Finanzpolitik fast durch die Bank weg offensichtlich vorsichtig geworden, dem städtischen Finanzmanagement blind zu vertrauen. Einen Freifahrtschein für die Kämmerei, in den kommenden Jahren ohne politische Rückkopplung 250 Millionen Euro über Kommunalanleihen zu beschaffen, um die notorischen Löcher in der Kasse zu stopfen, deutet sich jedenfalls nicht an.

Was hat die Stadt vor?

Sie will nach eigener Aussage flexibler werden bei der Geldbeschaffung. Seit sechs Jahren, so die Darstellung des Finanzmanagements, verenge sich der Kommunalkreditmarkt zusehends. Einige Finanzierer hätten sich komplett aus dem Kommunalgeschäft zurückgezogen, andere hätten ihre Angebote stark limitiert, weil ihnen die europäische Bankenaufsicht mit Basel III enge Grenzen beim Kreditgeschäft gesetzt hat. Weil die Kommunalfinanzierung relativ wenig Marge abwerfe, sehe sich die Stadt zusehends weniger Kreditanbietern gegenüber.

So will die Stadt nun neue Wege beschreiten, um das Feld potenzieller Darlehensgeber zu erweitern. Kommunalanleihen in einer Summe von bis zu 250 Millionen Euro will sie in den kommenden Jahren emittieren. „Im ersten Schritt wollen wir uns an 50 bis 100 Millionen Euro wagen“, so Mario Niggemann von der Beteiligungs- und Finanzsteuerung im Rathaus. An eine Laufzeit von sieben bis zehn Jahren sei gedacht. „Eher“ mit fester statt mit variabler Verzinsung.

Wie funktionieren die Anleihen?

Anleihen werden in großem Stil von Bund und Ländern als Finanzierungsinstrument genutzt. Will die Stadt eine Anleihe platzieren, muss sie eine Bank oder einen anderen Finanzdienstleister einschalten, der dies – Anleihen sind meist börsennotierte Wertpapiere – gegen Provision und Entgelt arrangiert. Er sorgt für die Investorenansprache, indem er die Anleihe mit Daten und Fakten präsentiert, in seinem Investorenkreis bekannt macht und etwa an Versicherer, Fonds oder Kleinanleger bringt.

Gibt die Stadt etwa eine Anleihe über 100 Millionen Euro aus, muss sie dieses Geld am Ende der Laufzeit wieder an die jeweiligen „Investoren“ zurückzahlen. Daneben müsste sie den Geldgebern eine Verzinsung anbieten, die attraktiv genug erscheint, um in der Vermarktungszeit der Anleihe ausreichend Anleger zu gewinnen.

Vorbilder in der Nachbarschaft

Essen hat schon vor sechs Jahren eine erste Kommunalanleihe platzieren lassen. Eine gemeinschaftliche Städteanleihe gab Essen im Februar 2014 mit Dortmund, Wuppertal, Remscheid, Herne und Solingen heraus. Das seinerzeit einzigartige Volumen von 400 Millionen Euro wurde noch getoppt durch die „NRW-Städteanleihe 2“ über 500 Millionen Euro (Februar 2015). Im Juni 2015 wurden noch mal 250 Millionen platziert. Bochum hat nach einer Gemeinschaftsanleihe mit Hilfe eines Bankenkonsortiums unter Führung der Hessischen Landes-, der Commerz- und der Deutschen Bank im Mai eine weitere festverzinsliche Anleihe in Höhe von 115 Millionen Euro herausgegeben.

Bekannte Risiken

Anders als etwa in den USA, wo auch Städte pleitegehen können, besteht in Deutschland durch die Haftungskette Kommunen-Land-Bund dem Grunde nach kein Ausfallrisiko für Investoren. Im Zuge der griechischen Finanzkrise gibt es in dieser Hinsicht aber auch mahnende Stimmen.

Die Schwierigkeit für die städtischen Finanzmanager dürfte sein, an einem Tag X eine Anleihe mit einer wirtschaftlichen Verzinsung anzubieten, die mindestens so günstig ist wie die einer klassischen Kreditfinanzierung, die für die Stadt in der aktuell vorherrschenden Niedrigstzinsphase ohnehin preisgünstig zu bekommen ist. Schnelle, tagesaktuelle Entscheidungen sind hier gefragt, ebenso eine fundierte Einschätzung der künftigen Zinsentwicklung.

Die Platzierung der Anleihe mit Börsennotierung, Vermarktung und empfohlener juristische Beratung kostet – selbst dann, wenn sich am Markt schließlich zu wenige oder keine Abnehmer finden. Eine Absicherung gegen dieses Risiko sei möglich, heißt es im Papier der Kämmerei. Aber das ließe sich der Platzeur ebenso bezahlen. In einem Gespräch mit der Zeit vor drei Jahren stellte Anleihen-Experte Stefan Friedrich, der seinerzeit mit der Initiative Kofin kommunale Platzierungen begleitete, fest, dass Anleihen für Städte wenn auch nicht sehr viel, aber doch teurer seien als Kredite. Und er sagte im Werben um die Bündelung kommunaler Kreditbeschaffung: „Für eine einzelne Stadt lohnt sich der Aufwand vielleicht nicht. . .“

Politik hat teils „ganz starke Bedenken“ 

Einen Freifahrtschein für die Platzierung von Anleihen in Höhe von bis zu 250 Millionen Euro wird die Kämmerei am Donnerstag wohl nicht vom Stadtrat ausgestellt bekommen. Doch den Einstieg ins Anleihegeschäft, so deutete es sich im Finanzausschuss an, wird eine politische Mehrheit beschließen.

Volle Zustimmung nur von der SPD

Bei der Präsentation im Ausschuss stieß die Beschlussvorlage der Verwaltung lediglich bei der SPD auf volle Zustimmung. In Anleihen zu gehen, sei „grundsätzlich eine glückliche Maßnahme“, nahm Jan Vogelsang Stellung für seine Fraktion. Gleichwohl solle die Kämmerei kontinuierlich berichten.

Das ging Eckhart Capitain, dem finanzpolitischen Sprecher der CDU, nicht weit genug. Er konnte sich nachträglich auch der Allianz mit der SPD vergewissern, dass es keinen Beschluss geben soll, der die Kämmerei ermächtigt, über ein Kreditvolumen bis zu 250 Millionen Euro frei verfügen zu können. Jede einzelne Tranche sei von der Politik separat freizugeben.

Politiker beklagen dürftige Aufklärung über Chancen und Risiken

Er erntete dafür auch Zustimmung von den Grünen. Die meldeten in Person von Eva Weber gleichwohl Beratungsbedarf an, so dass ein Votum im Finanzausschuss ausblieb. Zuvor hatte Fraktionskollegin Brigitte Erd eine mangelhafte Aufklärung der Kämmerei zu den möglichen Risiken und Konditionen von Anleihen festgestellt. Peter Beitz (FDP) stellte gar richtigerweise fest, dass in der Verwaltungsvorlage teils identische Formulierungen zu finden sind wie im Online-Lexikon Wikipedia zum Thema Kommunalanleihen. Nach dem Motto: Kann die Kämmerei nicht in eigenen Worten erklären, was sie da vorhat?

Das millionenschwere Wettdesaster noch vor Augen, tun sich manche Kommunalpolitiker schwer, als moderne, alternative Finanzierungsinstrumente vorgestellte Geschäfte abzunicken. Heidelore Godbersen (MBI) erinnerte daran, dass die Stadt auf die gleiche Weise in die Wetterei eingestiegen sei. Sie erwartet eine ausführliche Diskussion über Vor- und Nachteile von Anleihen. Die Frage sei doch: „Sind wir schon so unter Druck, dass wir Kredite nicht mehr anders bekommen?“ Wie teuer komme die Anleihen-Platzierung, wollte Godbersen wissen und bekam eine nichtssagende Antwort.

Wagner (BAMH): Bloß kein Schnellschuss

Frank Wagner (BAMH) sagte, die Anleiherisiken kämen in der Verwaltungsvorlage zu wenig zur Geltung. Er habe „ganz starke Bedenken“, bei unerprobten Geschäften empfehle sich „kein Schnellschuss“. Auch Peter Beitz (FDP) mochte nicht durchwinken, nicht jedenfalls „an einem Nachmittag zwischen 16 und 17 Uhr“. Dr. Martin Fritz (Alfa) sieht in Anleihen „grundsätzlich den falschen Weg“. Er will wissen, welcher Ertrag bei Berücksichtigung aller Kosten am Ende übrig bleibt.

Die Bezirksregierung als Finanzaufsicht sieht in Anleihen ein geeignetes Instrument der Finanzierung, sofern es dem Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit entspreche. Negative Erfahrungen von Kommunen im Umgang mit Anleihen seien im Regierungsbezirk nicht bekannt.