Mülheim. . „Süße“ Kindheitstage in einer Trinkhalle in Styrum, erzählt von der Enkelin. Seit 1925 gehört die Bude der Familie. Rückblick zum Tag der Trinkhalle.
- Die Schützenstraße 117 war für Inge Merz ein Ort des Glücks
- 1925 ließ die Urgroßmutter dort eine Trinkhalle errichten
- Es gab „eine riesige Auswahl an allem, was das Herz begehrte“
Wer hat schon eine Oma, die eine Trinkhalle besitzt? Ich war so ein Glückskind. Die Bude steht heute immer noch da, wo meine Urgroßmutter sie 1925 erbauen ließ – an der an der Schützenstraße 117. Wenn ich dort vorbeifahre, denke ich immer an meine Oma Guß. Sie saß auf einem Holzstuhl mit dickem Kissen rechts im vorderen Teil der Bude, damit sie nicht so weit gehen musste mit ihrem verkürzten Bein; gleich daneben befand sich das hellgrün gestrichene Holzregal mit den Zigaretten. Eckstein, Juno, Rothändle, HB, Ernte 23, so hießen die Marken. Ich durfte als etwa Fünfjährige ab und zu helfen beim „Bedienen“: Bonbons in Dreieckstüten abzählen, „Himbeeren“, süß und klebrig. Oder Silberfischchen und Veilchenpastillen. Die kosteten 1 oder 2 Pfennig.
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Es gab auch Lakritzschnecken und Lakritzpfeifen mit einem hellen Stück Irgendwas vorn drin, die waren teurer. Ich war stolz, wenn ich Oma „helfen“ durfte und fühlte mich fast erwachsen. Am liebsten machte ich das Fenster auf und zu, das quietschte so schön. Die Kasse befand sich unter dem Fenster in einem Holzschoss, das ging furchtbar schwer zu öffnen.
In meinen Augen war die Bude ein Schlaraffenland
In meinen Augen war die Bude ein Schlaraffenland. Selbstverständlich wollte ich später auch Budenbesitzerin werden. Oma hatte für mein Empfinden eine riesige Auswahl an allem, was das Herz begehrte. Es gab zum Beispiel lose Schokolade, ich roch sie bis draußen vor dem offenen Fenster, und das Wasser lief mir im Mund zusammen. Eine Sorte hieß Rolle-Schokolade, eine andere hieß Block-Schokolade. Ich konnte mich oft nicht entscheiden, welche Sorte ich kaufen sollte, beide kosteten 10 Pfennig das Stück.
Ach, es gab viele Wunderdinge, die mein Kinderherz höher schlagen ließen: Kremli, Superbum, Leckmuscheln, Studentenfutter, Wundertüten, Brause, Colalutscher, Esspapier, Fußballbilder und welche von dem Ritter Ivanhoe, Rolo braun und Rolo grün, Faam rot und blau, und Pfefferminze von Dr. Hiller, die waren aber so scharf. Und natürlich Eis! Ich finde, früher hat das Eis besser und sahniger geschmeckt als heute. Es gab nicht allzu viel Auswahl: Schokoladeneis, Vanille- und Erdbeereis am Stiel zu 10 oder 20 Pfennig. Die Eisstiele waren natürlich aus Holz, nicht aus Plastik.
Prickelpit, Peez, Nappos, lange Lakritzstangen, eine Reihe Gummipüppchen
In den 1950er und 1960er Jahren kannten und liebten alle Kinder: Prickelpit, Peez, Nappos, lange Lakritzstangen, eine Reihe Gummipüppchen, Brausebonbons, Schokolinsen weiß und rosa, kleine runde Schokoladenplätzchen mit den bunten Körnchen, rundes Eiskonfekt in den geriffelten, bunten Alu-Hütchen, Brausepulver in Tütchen, Kokosballen, Negerküsse oder Mohrenköpfe, ja, das durfte man damals noch ungestraft sagen. . . Dauerlutscher, saure Drops, lose Bonbons wie Hustelinchen in rot-weiß-blauem Papier oder Eukalyptusbonbons in grünem, Gummibärchen nicht zu vergessen, große und kleine. Und Weingummi-Teufelchen, rot mit schwarzem Kopf. Eines Tages die Sensation: Der erste Schokoriegel namens Nuts, kostete aber 50 Pfennig, innen mit ganzen Nüssen und zäher, heller Masse, die ein schlimmer „Plombenzieher“ war.
Wenn wir nur noch 5 Pfennige hatten, kauften wir uns eine Tüte Salmiakpastillen und klebten sie uns mit Spucke auf den rechten Handrücken, in Form eines schönen Sterns und leckten dran. Davon hatte man ganz lange was. Aus dem „echten Lakritz“ machten wir uns Schockelwasser. Jedes Kind hatte so was und schockelte hingebungsvoll. Den Schaum, der durch das Schockeln entstand, musste man absaugen, niemandem schmeckte die Brühe so richtig. Irgendwann habe ich das schwarze Zeug immer weggeschüttet.
Auf der Budentheke standen riesengroße Gläser mit Rollmöpsen
Draußen auf der Budentheke rechts und links des Fensters standen riesengroße Gläser mit Rollmöpsen (blau-silbern) und Bratrollmöpsen (braun) in ihren trüben Tunken. Und natürlich große grüne Essiggurken. Da lief einem manchmal das Wasser im Mund zusammen, nach all den Süßigkeiten mal was Saures. Aber das kauften nur die Arbeiter von Thyssen, direkt gegenüber. Und Frikadellen vom großen Teller mit Deckchen im Schaufensterchen, gleich auffe Hand mit Senf. Sie lachten, schwatzten, sagten dat und wat.
Wir Kinder spielten auch oft vor der Bude, zum Beispiel Hochspringen mit Eisfahne-Berühren. Natürlich drückten wir uns oft sehnsuchtsvoll die Nase an der Scheibe platt, und uns lief schon wieder das Wasser im Mund zusammen. Dann ging die Bettelei bei der Mutter um „ein Gröschken“ los. Oma schenkte mir manchmal eine kaputte Waffel oder ein Bonbon. Ich schnuppte selig, schließlich war ich ganz nahe an der Quelle.
Manchmal sagte Oma: „Gezz ist aber Schluss mit Schnuppen, et gibt nix mehr.“ Heute weiß ich, woher meine schlechten Backenzähne kommen. Oft denke ich, dass früher alles leckerer war, besonders das Eis. Oder kommt mir das nur so vor, weil wir immer nur wenig kaufen konnten und deshalb das „Schnuppen“ besonders genossen haben?
Die Pflaumenmus-Stulle mit dem Dackel geteilt
Getränke kaufte ich an der Bude nicht. Ich sah aber den großen Jungens zu, auch meinem Cousin Pidder. Wenn er sich Coca-Cola, Sinalco oder Flöckchen an den Hals setzte, da ging der Adamsapfel rauf und runter; das fand ich ganz erstaunlich. Ich schaute oft einfach zu, wie andere Leute was kauften. Und wartete immer schon auf den Jungen mit der komisch-rauen Stimme und dem Sprachfehler: „Für zehn Fennich Bomboms.“
Gegen Abend kamen meistens Männer mit ausgeleierten Ledertaschen, die viel Bier kauften. Manchmal gluckerten die Männer erst schon mal eine Flasche Bier gleich an der Bude weg.
Ich saß auch gern neben der Bude vor dem Haus auf der kleinen Steintreppe vorne an der Straße. Die Sommersonne schien mir ins Gesicht, neben mir saß der alte Dackel Seppel, sein Fell war ganz warm, genau wie mein Po. Wir teilten uns eine Stulle mit Pflaumenmus, und es war früh morgens und ganz still auf der noch nicht asphaltierten Schützenstraße. Manchmal kamen mit Pferd und Wagen der Klüngelspitt oder der Gemüsemann mit der Glocke vorbei. Aufregend fand ich auch den Bierwagen mit seinen klirrenden Flaschen in den Holzkästen.
Dann humpelte Omma mühsam heran
Ich dachte immer, wenn das Budenfenster geschlossen war und man Oma heranholen wollte, dann müsse man mit dem „Gröschken“ auf die Theke klopfen. So hatte man es mir gesagt. Wahrscheinlich, um sie zu wecken, weil sie manchmal ein bisschen eingedöst war. Und das tat ich sehr ernsthaft und so gerne, denn es klickte so schön mit dem Groschen auf dem Blech. Dann humpelte Omma mühsam heran. Aufgeregt sagte ich, was ich mir im Fenster ausgesucht hatte. Nummernschilder auf den Gläsern, so wie heute, gab es nicht. Man musste schon genau beschreiben, was man wollte.
Cousin Pidder hat die Bude später übernommen und sitzt immer noch drin, mit fast 77 Jahren. Wenn ich in Styrum bin, kaufe ich bei ihm immer ‘ne bunte Tüte. Vorher schaue ich durch das Budenfenster und sehe im Geiste meine Omma da sitzen. Und manchmal, ganz in Gedanken, klopfe ich mit dem Gröschken auf die immer noch gleiche Theke.
Unsere gute, alte Bude! Im Jahr 2025 wird sie hundert. Ob sie bis dahin noch steht?