Mülheim. . Die Choreographin Jasmin İhraç entwickelt mit ihrem internationalen Team das Tanzstück „On Confluence“, das im Januar in Mülheim zu sehen sein wird.

Seit knapp drei Wochen schon pulst der Beat durch den Tender im Ringlokschuppen und treibt die fünf Tänzer zu ihren schweißtreibenden und kräftezehrenden Proben an. Die House-Szene, die sich in den 80er Jahren in den Clubs von Chicago und New York formierte, ist das Thema des Stücks „On Confluence“, das die junge in Berlin lebende Choreographin Jasmin İhraç mit ihrem international besetzten Team derzeit bearbeitet, zu dem auch die Mülheimerin Lidy Mouw als Dramaturgin gehört.

Uraufführung ist zunächst im Dezember in Berlin im Hebbel am Ufer, hier ist es dann am 27. und 28. Januar zu sehen. Termine, die sich merken sollte, wer sich von den modernen Grooves und der positiven Energie des Abends mitreißen lassen möchte. Die strikte Trennung zwischen Performern und Publikum möchte İhraç jedenfalls aufheben und die Zuschauer einladen, sich im Cypher, dem Kreis, in deren Mitte die Tänzer zum Solo gehen, mittreiben zu lassen. Ohne dass sie dazu direkt animieren oder sich das Publikum unter Druck fühlen müsste. Bei einer offen Probe im kleinen Kreis gelang das zumindest ansatzweise. Die Zurückhaltung der Zuschauer ist in dieser Hinsicht wohl doch groß.

Szene mit Gemeinschaftsgefühl

Es ist das Gemeinschaftsgefühl, das die Szene prägte. Die Freiheit, Coolness, Offenheit gegenüber jedem, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht ist es, was die 32-jährige Choreographin fasziniert – und im Gegensatz zu der Hip-Hop-Szene heute damals auch noch frei von Konkurrenzdenken und Wettbewerben war. Und begeistert ist die Soziologin mit armenischen Wurzeln auch über die Möglichkeiten, die sich im Ringlokschuppen als Produktionsort bieten, denn in Berlin sind Proberäume rar und teuer und in NRW scheint zudem die House-Szene vitaler als dort. Matthias Frense, künstlerischer Leiter des Ringlokschuppens, kann sich freuen, dass das Haus während der Spielzeitferien genutzt wird, wobei die Tanzproduktion derzeit auch nicht die einzige ist, die dort entwickelt wird.

Ein intensives Gemeinschaftsgefühl ist auch der Probenprozess. So war es für die Choreographin wichtiger, dass das Team gut harmonierte als erstklassige Tänzer zu casten. Spannend für sie war es zudem, Künstler aus unterschiedlichen Traditionen, zeitgenössischer Tanz und Streetdance, zusammen zu bringen. Die bleiben im Verlaufe der Performance keine Gegensätze, sondern die Bewegungen werden von den anderen gespiegelt oder als Material aufgegriffen.

Nun sollte man sich den Abend, von dem nur eine Skizze präsentiert wurde, nicht von Beginn an als dampfenden Hexenkessel vorstellen. Er beginnt sogar in absoluter Stille und Lee Meír krümmt und bewegt ihren extrem elastischen Körper zu einer imaginären Musik in extremer Weise, wie man es nicht für möglich hielte. Die anderen schleichen lauernd um sie im Kreis, und begnügen sich mit dem „Jack“, jener charakteristischen Figur, die durch locker kreisende Bewegungen aus der Schulter entsteht und schließlich den gesamten Körper erfasst. Die Performer wechseln einander ab, noch wirkt die Szenerie wie in Trance.

Die Stimme von Angela Davis

Die Bewegungen gewinnen an Vitalität. Irgendwann erklingt ein fernes Brummen, das an Intensität gewinnt. Die Tänzer beginnen zu stampfen und da ist auch der Beat, der an Wucht gewinnt. Was ist hier frei improvisiert, was vorgeben? Das ist die spannende Frage für den Tanz wie für die Musik. Einige Figuren sind komplex, vor allem wenn sie sich in Formationen zu zweit oder schließlich auch zu fünft zusammenschließen und tanzend umarmen. Manchmal scheinen sie sich zu einem Duell wie junge Wildkatzen herauszufordern. Aber es bleibt immer spielerisch. Irgendwann erklingt eine Stimme, die auffordert, dass der gewöhnliche Mensch seine Kraft entdecken solle, an einem sozialen Wandel mitzuwirken und die Umwelt offener und warmherziger zu machen. Es ist die Stimme von Angela Davis, der schwarzen Bürgerrechtlerin, die in den 60ern bei Adorno und Marcuse studierte und später zu unrecht verhaftet wurde. İhraç hat eben auch Soziologie studiert. In ihrem Haus ist Platz für alle.