Mülheim. . Das Stück „Transformers“ der Künstlergruppe KGI bietet chaotische Kapitalismuskritik. Vieles bleibt unklar. Premiere im Mülheimer Ringlokschuppen.

Die Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule ist die Kaderschmiede des klassischen Theaters, die Bühnenausbildung am Gießener Theaterinstitut dagegen steht für Experimente. Aus diesen beiden - wie Matthias Frense vom Ringlokschuppen es nennt - „interessanten Antipoden des zeitgenössischen Stadttheaters“ ist die Künstlergruppe KGI hervorgegangen. Nur ist von orthodoxem Theater bei KGI nichts zu spüren. Die Performance siegt. Das zeigt das Stück „Transformers“, das am Wochenende im Schuppen aufgeführt wurde.

Dystopisches, doku-fiktionales Tanztheater

Eine Handlung gibt es nicht, das Dutzend bunt kostümierter Figuren ist namenlos. In einem Moment muss man ihnen zusehen, wie sie einfach dastehen und Wassereis schlecken, in einem anderen Moment bricht der Song „Mülheim Asozial“ einer Punk-Band aus den Boxen und die Schauspieler verfallen in anarchischen Ausdruckstanz. „Transformers“ stellt die Geduld genauso auf die Probe, wie es Sinneseindrücke erdrückt. Das irritiert im höchsten Maße, aber unterhält enorm. Das Stück bezeichnet sich als „dystopisches, Doku-fiktionales Tanztheater“, ist aber eigentlich undefinierbar.

Dabei ist die politische Agenda eine ziemlich deutliche. Es geht gegen den „Zwang, dass du immer was machen musst“. Gleich am Anfang sprengen die Schauspieler die Dimension zum Publikum und verkünden: „Unsere Kreditwürdigkeit hängt von unserer Leistung ab, also unser ganzes Leben“. „Transformers“ schlägt gegen die 80-Stunden-Woche, gegen kapitalistische Ausbeutung. Gelobt werden Guerillas, Anarchisten, und wer es schafft, dem „Chef endlich mal aufs Maul zu hauen“.

Schauspieler sind selbster Verlierer des Systems

Interessant ist, dass viele der Schauspieler selbst Verlierer des Systems sind. Das Ensemble besteht nicht nur aus Profis, auch sind ALG-II-Empfänger, Flüchtlinge, benachteiligte Kinder dabei. Weiß man das, werden die vereinzelten Textpassagen zum Herzen des Stückes. In Reihe aufgestellt, den Zuschauer anstarrend, berichtet dort jede Figur abwechselnd von ihrer Geschichte – es gibt den Ausländer, der keinen Job findet, der Ossi, der immer an allem Schuld ist, den Frührentner, der an Altersarmut leidet. Man darf sich fragen: Wie viel Fiktion und wie viel Wahrheit steckt in diesen Erzählungen?

Aber fürs Nachdenken bleibt keine Zeit. Wie Discobesucher im echten Leben ertränken die Figuren ihr Leid in lauter Clubmusik – und versetzen mit slapstickartigen Tanzeinlagen und ulkigen Grimassen ein Publikum in Gelächter, das gerade anfing mitzuleiden. Die völlige Irritation der Theatergäste wird komplett, wenn sie zum Ende des Stücks gebeten werden, von den Rängen zu steigen, um sich das Bühnenbild – das monumentale „Bauernkriegspanorama“ des Malers Werner Tübke – aus der Nähe erklären zu lassen. Die Schauspieler sehen in Tübkes Tafelbild mehr als den dargestellten Bauernkrieg, sie erkennen darin Karl Marx oder „den ersten Schuldenschnitt der Geschichte“. Die linkspolitische Botschaft ist eben klar. Alles andere an diesem Stück ist es nicht.

Mülheimer regelmäßig zum Mitmachen eingeladen

Für die „Transformers“-Gruppe gab es erst am 24. Januar 2016 das erste Kennenlerntreffen. Gesucht waren „Menschen, die die Auswirkungen der Umbrüche der kleinen oder großen Katastrophen unserer Zeit kennen“. Jugendliche und Erwachsene aus Mülheim nahmen am Projekt teil.

Auch in anderen Theaterprojekten lädt der Ringlokschuppen Mülheimer zum Mitmachen ein. Zuletzt wurde am 5. und 6. März die Klatschchor-Aufführung „Clap“ aufgeführt, bei der es um die Kulturgeschichte des Klatschens ging. Info: www.ringlokschuppen-ruhr.de