Dortmund. . Der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak sagt: Viele Türkeistämmige in Deutschland verehren Erdogan. Er verkörpere Größe und Selbstbewusstsein.
Der weiße Halbmond mit Stern auf rotem Grund – die türkische Nationalflagge wird am Sonntag von mindestens 15.000 Menschen durch die Kölner Innenstadt getragen werden. Die hier lebenden Türken wollen nach dem gescheiterten Militärputsch ihre Solidarität mit Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeugen. Dass er auch in Deutschland im Handumdrehen Tausende mobilisieren kann, hat zuletzt die Putschnacht bewiesen.
Christopher Onkelbach sprach mit Prof. Ahmet Toprak, Erziehungswissenschaftler und Dekan an der Fachhochschule Dortmund, über die Frage, warum Erdogan bei der türkeistämmigen Jugend so beliebt ist.
Welche Beziehung haben junge Türkeistämmige zur Türkei?
Ahmet Toprak: Der überwiegende Teil der unter Vierzigjährigen ist hier geboren oder hier aufgewachsen. Sie kennen die Türkei aus der Ferne, über die Medien oder durch Urlaubsaufenthalte. Viele sprechen besser Deutsch als Türkisch. Sie haben eine deutsche Schule, Ausbildungsstelle oder Hochschule besucht.
Nicht wenige haben einen deutschen Pass. Dennoch identifiziert sich ein beträchtlicher Anteil junger Menschen mit der Türkei und nicht mit Deutschland. Viele können mit Merkel und Gauck wenig anfangen, aber mit Erdogan umso mehr.
Sind diese Türkeistämmigen politisch interessiert?
Toprak: Es wird immer angenommen, dass die Türkeistämmigen apolitisch sind. Wenn aber Erdogan nach Deutschland kommt, sind die Hallen voll. In der Putschnacht vom 15. auf den 16. Juli gingen etwa 8000 Menschen im Ruhrgebiet spontan auf die Straße.
Was fasziniert Türkeistämmige offensichtlich so an Erdogan?
Toprak: Die Vorfahren vieler türkeistämmigen Jugendlichen kommen aus einfachen Verhältnissen. Auch wenn viele Nachfolgegenerationen besser ausgebildet sind als ihre Eltern und Großeltern, haben sie den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg nicht vollzogen und erhalten die erhoffte soziale Anerkennung nicht. Sie gehören nicht zur Elite und werden auch in Zukunft nicht dazu gehören.
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Erdogan ist einer von ihnen, er kommt aus einfachen Verhältnissen und hat sich auf dem Weg nach oben gegen Machthaber und Eliten erfolgreich gewehrt. Er spricht einfach, verständlich und die Sprache des Volkes.
Warum ist die Türkei auch für hier Geborene oder Aufgewachsene so wichtig?
Toprak: Sie haben oft Diskriminierungen erfahren, etwa in ihrer Bildungslaufbahn oder beim Berufseinstieg. Sie wollen Anerkennung und Erfolg in Deutschland. Wenn das aber nicht in gewünschtem Umfang funktioniert, ist die Rückbesinnung auf eigenethnische Milieus die Folge. Erdogan ist cool, gibt den Jugendlichen das Gefühl, dazu zu gehören. Kritik an Erdogan wird von ihnen als Kritik an der eigenen Person und an ihrem „Heimatland“ empfunden. Wenn die Kritik von Deutschen kommt, sind es für sie Nazis. Wenn sie von Türkeistämmigen kommt, dann sind das Landesverräter.
Die Welt wird eingeteilt in Gegner und Anhänger Erdogans?
Toprak: Erdogan und seine Politik teilen die Welt in moralisch gegen unmoralisch, gläubig gegen ungläubig, falsch oder richtig. Widersprüche oder Differenzierungen sind nicht vorgesehen. Für aufgeklärte Gesellschaften und Demokratien, die auf Differenzierung und Vielfalt setzen, klingt das eindimensional.
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Aber für viele Menschen, in erster Linie für Jugendliche mit wenig Selbstwertgefühl, kann das attraktiv sein, weil es davon entlastet, Dinge zu hinterfragen. Gehorsam und Unterordnung sind die obersten Prinzipien von Erdogan und seiner Politkik.
Spielt es dabei eine Rolle, dass Erdogan sich immer mehr von Deutschland und Europa absetzt?
Toprak: Den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre registrierten Türkeistämmige in Deutschland sehr genau. Aus ihrer Sicht ist die Türkei unter Erdogan ein selbstbewusstes und souveränes Land geworden. Erdogan betont immer wieder, dass die EU die Türkei braucht, nicht umgekehrt. Er bietet EU, Nato und Russland die Stirn. Das kommt bei seinen Anhängern gut an. Erdogan erfüllt die Sehnsucht vieler Türkeistämmiger nach Erfolg, Ansehen, Macht und Selbstbewusstsein stellvertretend.
Wie kann Erdogan hier so viele Türkeistämmige mobilisieren?
Toprak: Die Regierungspartei AKP von Erdogan ist die erste Partei, die aktiv und bewusst die Türkeistämmigen in Deutschland als Wählerpotenzial wahrnimmt. Vermutlich ist er der einzige Politiker, der im Ausland Wahlkampf betreibt. Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) und die Türkisch-Islamische Union Ditib, beide mit Sitz in Köln, sind der politische und religiöse Arm von Erdogan. Sie nehmen seine Interessen wahr und haben großen Einfluss auf die Türkeistämmigen.