Mülheim. Vor 50 Jahren betraten die Beatles 80 Sekunden lang Mülheimer Boden. Vom Bahnhof aus fuhren sie zum Konzert nach Essen. Ein Fan erinnert sich.
Nacheinander tauchen die vier Musikgötter aus dem Halbdunkel der Bahnhofshalle auf. Ringo, Paul, John und George, blass und etwas übernächtigt, blinzeln in die Blitzlichter der versammelten Fotografenmeute. Es ist der 25. Juni 1966, als Peter Andermahr in diesem Tross hinter einer wankenden Polizeisperre um die beste Sicht auf seine Idole ringt: die Beatles. Kurz bevor hysterische Fans die Sperre durchbrechen, rutschen die Musiker in einen Opel-Admiral, der sie nach Essen zum Konzert kutschiert. Auf den Tag genau 50 Jahre ist es nun her, dass die britische Popband auf ihrer Bravo-Blitztournee für diese wenigen Minuten Mülheimer Boden betrat. Peter Andermahr wird sich ein Leben lang daran erinnern.
„Gegen 14 Uhr haben wir uns mit ein paar Freunden am Eppinghofer Bahnhof platziert“, erinnert sich der heute 68-Jährige als wäre es nicht 50 Jahre, sondern erst fünf Tage her. Damals sei der Bahnhof an der Oberhausener Straße gegenüber der Friedrich-Wilhelms-Hütte kaum noch genutzt worden – die Beatles sollten so geheim wie möglich zur Gruga transportiert werden. „Die Band sollte zwar erst gegen 16.30 Uhr mit dem Zug aus München ankommen, aber wir hatten Angst, sie zu verpassen.“ Peter Andermahr ist damals 18 Jahre alt und hat gerade seine Lehre zum Großhandelskaufmann abgeschlossen. Ein Mädchen aus seiner Clique vom Städtischen Gymnasium hat einen Vater, der bei der Polizei arbeitet. „Der hat uns verraten, dass die Beatles an diesem Tag vor dem Konzert in Mülheim mit dem Zug anlanden“, erinnert sich Andermahr. „Wir waren so aufgeregt!“ Zwei Monate hatte die Clique über nichts anderes gesprochen.
Geheime Ankunft
Trotz geheimer Ankunft pilgern an diesem Tag etwa 1500 Fans zum Bahnhof. Abgeschirmt werden die Musiker von 140 Polizeibeamten aus Essen und Oberhausen, die mit Mannschaftswagen und bellenden Hunden anrücken. Wie die Zeitungen damals berichten, empfangen die Fans die Polizisten mit einem „Ohren durchdringenden Buh“, während sie „friedlich ihr Langhaar schütteln“. Ringo Starr, so schreiben etwa die Mülheimer Stadtnachrichten, trägt acht Ringe an zehn Fingern, George Harrison einen lilafarbenen Pulli zur Samt-Jacke. Und Paul McCartney baumelt eine gestreifte Krawatte am verschwitzten Hemd. Auch John Lennon winkt noch den Fans zu, bevor er und seine Bandkollegen im Opel verschwinden. 80 Sekunden dauert der Vorgang, für Peter Andermahr hallen sie bis heute nach. „Wir waren hin und weg.“
Vom Bahnhof aus gurken die Freunde in ihrem VW-Käfer hinter dem Konvoi ihrer Idole her — über die Dohne nach Menden in Richtung Kettwig bis zur Grugahalle. „Dort haben sie nur knapp 30 Minuten gespielt“, erinnert er sich. Die Halle ist taghell beleuchtet und bestuhlt, doch die Fans hält es nicht lange auf ihren Sitzen. „Wir sind auf die Lehnen der Stühle geklettert, bis es knackte und krachte.“ Unter dem lauten Schreien der Fans hören die Freunde kaum noch was vom Beat. „Um die Musik ging es auch nicht, alle wollten nur die Beatles sehen.“
Pilzköpfe auf zahlreichen Postern und Collagen
Dabei ist es dieser Beat-Sound, der es Peter Andermahr und seinen Freunden so angetan hat. Seine erste Platte „Twist and Shout“ ist der Anfang einer großen Fanleidenschaft. „Die hat 4,50 DM gekostet, das war sehr viel Geld für einen kleinen Lehrling wie mich.“ Bis zu 30 Mal spielte er sie hintereinander ab und tanzte dazu mit seinen Freunden im Jugendzimmer.
Heute hat er ihnen ein eigenes Zimmer in seiner Wohnung gewidmet, das wohl kleinste Beatlesmuseum der Region. Die Pilzköpfe posieren auf zahlreichen Postern und Collagen. Aber auch Devotionalien anderer Künstler lagern in diesem Mikrokosmos der Rocklegenden: etwa eine handsignierte Original-Gitarre der Rattles aus dem Jahr 1959, die auch als Vorband auf der Bravo-Tournee spielten.
Nach dem Blitz-Konzert summen die Jugendlichen „Yesterday“ und träumen dabei von der Zukunft. Sie sind berauscht, fühlen sich frei und euphorisch. „Die waren wie Götter für uns“, sagt Peter Andermahr. Bis heute verwahrt er die Eintrittskarte von damals wie einen Schatz – ein laminiertes Stückchen Glücksgefühl.