Mülheim. Ins Theater an der Ruhr kommen vom 19. bis 28. April Produktionen aus Spanien, Italien, Tunesien, Libanon und Irak: „Theaterlandschaft Mittelmeer“.

Die Zukunft Europas hängt von den Staaten rund um das Mittelmeer ab. Für das Theater an der Ruhr ein Grund, mit der „Theaterlandschaft Mittelmeer“ in die Tiefe zu gehen. Vom 19. bis 28. April stehen fünf hochkarätige Produktionen aus Spanien, Italien, Tunesien, Libanon und dem Irak auf dem Spielplan am Raffelberg. Theater-Kurator Rolf C. Hemke hat das Programm zusammengestellt.

Das Theater an der Ruhr ist immer nah dran, wenn es in Ländern politisch brenzlig wird. Jetzt stehen die Mittelmeer-Länder im Fokus. Eine bewusste Entscheidung?

Sicherlich. Wir haben letztes Jahr die Theaterlandschaft Südeuropa gemacht. Unsere ursprüngliche Idee, uns mehr Richtung Südeuropa zu orientieren, waren die sozialen Verwerfungen infolge der Griechenland- und Euro-Krise. Dann haben wir ausführlich recherchiert und sind schon im letzten Jahr nur auf eine interessante Produktion gestoßen, die sich konkret mit der Bankenkrise auseinandergesetzt hat. Was wir aber schon letztes Jahr massiv gefunden haben, war das Flüchtlingsthema. Das hat ja nun durch die Mittelmeer- und Flüchtlingskrise in einer solchen Form an Aktualität gewonnen. Auch, was die Nachwirkungen des sogenannten Arabischen Frühlings betrifft. Wir haben dann gesagt: Lasst uns Südeuropa weiter reflektieren, aber wir gucken uns den gesamten Mittelmeerraum an. Wir haben natürlich auch lang stehende Kontakte in diese Länder.

Ist die Flucht ein spezielles Thema bei den Gastspielen?

Da wir im letzten Jahr zwei konkrete Projekte dazu hatten, wollen wir uns diesmal mehr um die Hintergründe und die Analyse der Situation kümmern. Wir haben keine Flüchtlingsdramen an sich eingeladen. Die irakische Produktion setzt sich mit ganz individuellen Schicksalen und dem Islamischen Staat auseinander. Darin wird eine Tänzerin vom Islamischen Staat getötet. Die tunesische Produktion behandelt die Frage, was aus der Gesellschaft nach dem Arabischen Frühling in Tunesien, nach dem Sturz der Diktatur, geworden ist, wo es um die immense Gewaltzunahme in der tunesischen Gesellschaft geht. Und in dem libanesischen Projekt geht es um schiitische Traditionen, die im Syrien-Konflikt durch radikalisierte Sunniten extrem stark unterdrückt werden. Ich glaube, dass wir mit den drei Projekten einen sehr schönen Bogen geschlagen haben, die sozialen und gesellschaftlichen Befunde vor Ort in Bilder zu fassen.

Das Thema Flucht zieht sich unterschwellig durchs Programm. Über Syrien gibt es einen Film?

Der Film handelt vom Aufziehen des Bürgerkrieges im Zentrum von Aleppo. Und zwar aus der Sicht eines jungen armenisch-stämmigen Syrers und seiner Familie. Ein Langzeit-Filmprojekt, über drei Jahre täglich eine Minute gedreht und daraus einen 90-minütigen Film geschnitten, der bei der Berlinale sehr viel Erfolg hatte.

Als Neuerung gibt’s Foyergespräche nach den Aufführungen?

Wir haben eigentlich immer Gespräche nach den Produktionen angeboten. Weil wir das Muster des klassischen Publikumsgesprächs durchbrechen wollten, haben wir Experten zum Thema eingeladen. Es werden Gespräche mit Theatermachern, was auch Fragen des Publikums einschließen kann.

Also so etwas wie ein Politischer Salon. Die Gesprächs-Reihe kommt gut an. Liegt das an der Verunsicherung in der Gesellschaft?

Ich denke schon, dass das Theater an der Ruhr von seinem Publikum als ein sehr politisches Theater wahrgenommen wird. Und ich glaube auch, dass ein größeres Gesprächsbedürfnis in den letzten zwei Jahren entstanden ist. Jeder, der sich politisch interessiert und verfolgt, was in unserer Gesellschaft passiert, merkt, wie sich unsere Gesellschaft verändert, wie sich massive Strömungen manifestieren, die vielleicht unterschwellig immer mal wieder aufgeploppt sind, die aber plötzlich ein ganz anderes Thema sind. Es ist ja nicht nur die Flüchtlings- und Migrationsfrage, sondern auch die Frage der Radikalisierung in unserer Gesellschaft. Dann ist da die Frage, wie sich unser politisches System weiter entwickeln wird mit dem Zusammenschmelzen der Volksparteien, mit dem Großwerden der AfD. Das alles hängt zusammen.

Können denn solche Veranstaltungen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit geben?

Wir versuchen das. Fragen präziser zu stellen, ist manchmal schon hilfreich, um einfach anders darüber nachdenken zu können. Letztlich kann man sicherlich an der einen oder anderen Stelle Antworten geben. Auf die großen Fragen natürlich nicht, das wird die Zeit zeigen. In einer gemeinsamen sachlichen Diskussion kann sich aber auch schon vieles anders ergeben, als wenn man im stillen Kämmerlein allein über etwas nachdenkt.