Mülheim. Hanns-Peter Windfeder, Vorsitzender des Mülheimer Unternehmerverbandes im NRZ-Gespräch über Integration, Bildung und Finanzen. Mülheim sollte sich als familienfreundliche Stadt profilieren.

So viele positive Signale gab es in den letzten 15, 20 Jahren in der Innenstadt nicht, stellt Hanns-Peter Windfeder erfreut fest. „Wir haben aber auch eine lange Leidensgeschichte hinter uns.“ Deshalb dürfe ruhig an die Signale erinnert werden, die begründeten Anlass für Hoffnung bieten: Umbau des Kaufhofs, Fertigstellung des Ruhrquartiers, Rathausmarkt und vor allem auch die Hochschule.

Wie sich der Campus mit zwei Plätzen zur Duisburger Straße hin öffnet, begeistert den 51-jährigen Marketingexperten. Man werde förmlich reingezogen. „Die Hochschule ist Teil der Stadt und es ist richtig, dies auch mit einem großen Fest im Juni zu feiern. Die Unternehmen werden dazu einen Beitrag leisten.“ Die Wirtschaft kann sich freuen, denn das Profil der Hochschule orientiert sich ganz stark an ihren Anforderungen und Wünschen. Dass dies so gelungen ist, sei eine große Leistung der Stadt und der Hochschulleitung. „Diesen wunderbaren Vorteil müssen wir uns erhalten“, sagt Windfeder. Auch die Professoren, die er bisher erlebt hat, begeistern ihn mit ihrem Tatendrang und Enthusiasmus. Es fehle nur noch der Radschnellweg, der die Hochschule mit der Innenstadt dann wunderbar verbinde.

Hochmotivierte Flüchtlinge

Die Zuwanderung wird von der Wirtschaft als Chance gesehen. In der Regel sind die Flüchtlinge „hoch motiviert und offen für jede Form von Beschäftigung“, bestätigt Matthias Heidmeier, Sprecher der in Duisburg ansässigen Unternehmerverbands-Gruppe. Sehr vernünftig gehe die Stadtverwaltung unter der Federführung von Sozialdezernent Ulrich Ernst mit dieser Herausforderung um. „Sie vermeidet jede Form von Aktionismus, denkt lieber noch einmal genau nach und macht es dann gleich richtig“, sagt Hanns-Peter Windfeder.

Mit dem Erfolg, dass in Mülheim einiges besser laufe als in den Nachbarstädten. Dieses Vorgehen sei bei der vorbildlichen Unterbringung der Menschen ebenso zu beobachten wie beim Ringen um ein umfassendes Integrationsmanagement aus einer Hand oder in der Vergangenheit bereits beim Aufbau des U-25-Hauses zur Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit. Auch das ist Windfeder wichtig: „Langzeitarbeitslose dürfen nicht gegen Flüchtlinge ausgespielt werden und auch nicht das Gefühl bekommen.“

Hanns-Peter Windfeder ist Unternehmer und er ist sozialinteressiert und sozialengagiert. Die soziale Teilung der Stadt sieht er als wichtige Herausforderung. „Es gibt ein Kriterium, das wesentlich über den Schulerfolg entscheidet: die Geografie.“ Kinder, die im Norden aufwachsen, werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht auf ein Gymnasium gehen und studieren. In Saarn ist das anders. „Ich glaube an die statistische Normalverteilung. Deshalb lohnt es sich, dort zu investieren.“ Er kennt die Daten, denn er sitzt auch im Beirat der Sozialagentur, und weiß daher, wo Kinder weniger in die Kita gehen und seltener im Sportverein aktiv sind. „Die Menschen in diesen Stadtteilen verdienen unsere Aufmerksamkeit. Wir müssen dort Schwerpunkte setzen, nicht weil wir Gutmenschen wären, sondern weil es sich lohnt.“

Mülheim als Familienstadt

Sozialpolitik, die dagegen in die Breite zielt, ist: Mülheim noch stärker als „Familienstadt“ zu positionieren. Ein Profil, an dem im „Bündnis für Familien“ gearbeitet wird. Bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht es um praktische Dinge wie Betreuungsangebote und Ausbildung in Teilzeit ebenso wie um einen Mentalitätswechsel, damit sich die Frauen mit ihren Problemen in den Unternehmen nicht allein gelassen fühlen.

Was passiert, wenn das Kind krank ist? Wie flexibel können Arbeitnehmer dann später anfangen oder frei nehmen? „Das geht sicher nicht in allen Berufen. Der Supermarkt öffnet um 8 Uhr. Aber im Dienstleistungsbereich geht vieles“, sagt Windfeder.

Psychologische Hürden

Doch die vielen freiwilligen Sozialleistungen, die Mülheim auf dem Weg zu einer Familienstadt benötigt, wären unter einem Spardiktat der Bezirksregierung kaum möglich. Windfeder sieht die Probleme der kommunalen Haushalte. Ein neues Gemeindefinanzierungsgesetz sei nötig, der Bund müsse die Aufgaben, die er den Gemeinden überträgt, komplett finanzieren, und über den Solidarpakt müsse auch nachgedacht werden.

Die Erhöhung des Gewerbesteuersatzes sei nur ein kurzfristiger Befreiungsschlag. „Bei über 500 Punkten ist eine psychologische Hürde erreicht“, sagt er. Natürlich werde kein Unternehmen so schnell abwandern, aber es könnte sein, dass gerade dieses Kriterium ein ansiedlungswilliges Unternehmen dazu bewege, doch in Ratingen oder im Münsterland zu investieren. Was ihn aber tatsächlich erschrecke ist die Flächenknappheit. Bei zahlreichen Anfragen habe die Wirtschaftsförderung gar kein Angebot machen können. „Das sind alles Arbeitsplätze, die wir nicht schaffen können.“ Mülheim werde auch künftig vom produzierenden Gewerbe geprägt sein. Gewerbeflächen sind also wichtig.

Als Hockey-Spieler weiß Windfeder, „Spiele werden nicht nur gewonnen, indem man Tore schießt, auch hinten muss man dicke Fehler verhindern.“ Übertragen auf die Stadt bedeutet das, es gibt Dinge, die sie beeinflussen kann: Sie muss das Defizit bei der MVG reduzieren und endlich städteübergreifende Kooperationen voranbringen. Mit den neuen Oberbürgermeistern in Mülheim, Oberhausen und Essen sieht er Chancen: „Neu muss nicht besser sein, aber sie können neu denken, ehe sie in den Sog des Molochs gezogen werden.“