Mülheim. In den Koalitionsverhandlungen von Union und FDP werden „Entlastungen” für Hartz IV-Empfänger in Aussicht gestellt. Das kommt allerdings nicht überall gut an. Mülheimer Arbeitslosenberater etwa sehen die geplanten Änderungen kritisch.

In Berlin laufen Koalitionsverhandlungen, noch ist nichts vertraglich fixiert, doch eine erste öffentlichkeitswirksame Einigung haben Vertreter von Union und FDP bereits verkündet: Hartz IV-Empfänger sollen, wie es heißt, „entlastet” werden. Ob die angedachten Änderungen jedoch Grund zum Jubeln geben, ist fraglich.

Gabi Spitmann und Rainer Hamisch, die als Mitarbeiter des Mülheimer Arbeitslosenzentrums e.V. (MALZ) pro Jahr bis zu 4000 Beratungsgespräche führen und dabei meist Hartz IV-Empfängern begegnen, überzeugen die Absichtserklärungen nicht.

Höheres Schonvermögen

Änderung 1: Für Zwecke der Altersversorge dürfen bislang 250 € pro Lebensjahr als Sparvermögen behalten werden, maximal 16 250 €. Dieses „Schonvermögen” soll auf 750 € verdreifacht werden. „Ein in der Praxis extrem seltenes Problem”, sagt Gabi Spitmann, denn hier geht es allein um Angespartes, das wirklich erst bei Eintritt ins Rentenalter zur Verfügung steht. „Schon eine Lebensversicherung, die mit 58 Jahren ausgezahlt wird, gehört nicht dazu.” Sondern für diese gilt der allgemeine Vermögensfreibetrag: nur 150 € pro Lebensjahr.

Änderung 2: Selbstgenutztes Wohneigentum soll nicht mehr angetastet werden. Bislang gelten hier Obergrenzen von maximal 120 qm (Wohnung) bzw. 130 qm (Haus) für einen Vier-Personen-Haushalt. „Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem jemand sein Häuschen aufgrund der Größe verkaufen musste”, bemerkt Berater Rainer Hamisch. „Auch bei 140, 160 qm sagt kein Mensch was.” Eine Einschätzung, die übrigens von Dr. Jennifer Neubauer, stellvertretende Leiterin der Mülheimer Sozialagentur, bestätigt wird: „Solche Fälle sind in der Praxis selten, und die Regelungen werden wohlwollend ausgelegt.”

Worauf Hamisch noch hinweist: Besitzt jemand mehrere Immobilien und wird langfristig arbeitslos, muss er nicht selbstgenutzten Wohnraum verkaufen. Auch in Zukunft.

Mehr Zuverdienst

Änderung 3: Hartz IV-Empfänger sollen mehr Geld dazuverdienen dürfen. Genauer beziffert wurde dies jedoch noch nicht. Derzeit gilt: 100 € sind anrechnungsfrei, wer bis zu 800 € verdient, darf davon 20 Prozent behalten, im Bereich von 801 bis 1200 € nur noch zehn Prozent.

Hier bestehe tatsächlich Handlungsbedarf, meinen die Arbeitslosenberater, halten aber andere Aspekte für wichtiger: Gabi Spitmann etwa kritisiert, dass Steuerrückzahlungen angerechnet würden und – bei Hartz IV-Empfängern, die einen Job haben – das Weihnachtsgeld. „Davon haben die Leute nix. Dabei ist es doch dafür gedacht, sich etwas extra leisten zu können.” „Was uns am meisten ärgert”, sagt Rainer Hamisch: „Kindergeld wird voll angerechnet. Dieses zusätzlich zu zahlen, das wäre mal eine Maßnahme.” Aber er wolle nicht alles, was im Gespräch sei, mies reden: „Zumindest kommt Bewegung in die Hartz IV-Kiste. Nur müsste etwas geschehen, wovon die Leute wirklich etwas haben.”

Ängste nehmen

Immerhin könnten den Betroffenen durch die geplanten Maßnahmen Ängste genommen werden, überlegt Jennifer Neubauer von der Sozialagentur: „Die Sorge, Altersrückstände angreifen oder Wohneigentum verwerten zu müssen, spielt eine große Rolle. Vielleicht kommen die Menschen in Zukunft eher zu uns.”

Das Vorhaben, den erlaubten Zuverdienst zu erhöhen, sieht die Fachfrau dagegen skeptisch: „Wenn man die Grenzen nach oben verschiebt, fallen immer mehr niedrige Einkommen unter die Bedürftigkeitsgrenze”, sprich: Immer mehr Haushalte hätten Anspruch auf Hartz IV.

Eine Perspektive, die sicher nicht alle Beteiligten erfreulich finden.