Mülheim. . Die neuen Mülheimer Straßenbahnen sind für manche ältere Menschen schwierig zu besteigen. Wir begleiteten in der neuen Niederflurbahn eine 91-Jährige.

Da kommt sie die Zeppelinstraße herunter, rumpelt heran und hält dezent quietschend an der Haltestelle Oppspring, stadteinwärts. Eine schicke neue Straßenbahn der Linie 104, eine so genannte Niederflurstraßenbahn. Die Türen öffnen sich, Menschen steigen aus und ein. Auch Gisela Klusmann, 91 Jahre alt, würde gerne mit der 104 in die Innenstadt fahren. Seit sie im vergangenen Jahr ihr Auto abgegeben hat, ist sie auf den Öffentlichen Nahverkehr angewiesen.

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Doch allein, ohne eine helfende Hand, kann sie nicht einsteigen in die moderne Bahn, kann die etwa 30 Zentimeter von der Fahrbahn hoch in den Wagen nicht überwinden. Denn hier am Oppspring, wie an vielen weiteren Haltepunkten der 104, die sich zunächst die Bismarckstraße runterschlängelt, gibt es keine erhöhten Einstiege – etwa vom Bordstein oder einer Mittelinsel aus – hier steigt man von der Straße aus ein. Damit fängt das Problem an – nicht nur für Gisela Klusmann, sondern für zahlreiche weitere Senioren, die im Laufe der Fahrt in die Innenstadt zusteigen.

Sturzfrei in der Bahn zu einem Sitz gelangen

Zwei Damen, die an der Haltestelle Wasserstraße einsteigen, mühen sich ins Abteil und schimpfen über die neuen Bahnen. Beim Aussteigen habe sie sich bereits einen Wirbel ausgerenkt, weil die Stufe so hoch sei, sagt die 82-Jährige und fügt hinzu: „Die modernen Bahnen sind nicht besser als die alten, im Gegenteil. Und das bei den teuren Preisen.“ Besonders beschwerlich sei es zudem, fügt ihre ebenfalls über 80-jährige Begleiterin hinzu, wenn man einen schwer beladenen Einkaufstrolley dabei habe.

Ist der Einstieg gemeistert, steht die nächste Herausforderung bevor – sturzfrei zu einem Sitz zu gelangen. Zur rechten wäre eine weitere Stufe zu überwinden, zudem säße man auf den ersten Sitzen, die man erreichen kann, rückwärtsgewandt zur Fahrtrichtung. Für Gisela Klusmann keine Option. Stattdessen wenden wir uns nach links. Als erstes erreichen wir ausklappbare Sitze. Die belegen wir schnell, denn im nächsten Moment ruckelt die Bahn los. „Ich traue mir nicht zu, weit durch eine fahrende Bahn zu gehen“, sagt die 91-Jährige und setzt sich. Gut allerdings sitzt man hier nicht, die Ausklappsitze scheinen wackelig, bieten keine Möglichkeit, sich abzustützen, etwa um aufzustehen. Generell scheint die Innenausstattung der neuen Bahnen nicht sonderlich seniorenfreundlich zu sein. Offenbar gibt es weniger Haltestangen, was der Maßgabe nach mehr Platz für Rollatoren und Kinderwagen geschuldet zu sein scheint.

"Nicht viel zum Festhalten"

„Hier gibt es nicht viel zum Festhalten“, sagt Gisela Klusmann und zeigt nach oben auf die durchgehende Haltestange: „Da komme ich nicht dran.“ Zurück am Oppspring, die Tour mit der Straßenbahn ist sturzfrei zu Ende gebracht. Auch wenn die 91-Jährige die meisten Besorgungen in ihrem Viertel macht, wird sie in den kommenden Tagen wieder in Richtung Innenstadt fahren müssen – um zum Arzt oder zur Bank zu kommen. Gisela Klusmann hofft: „Wenn ich Glück habe, fährt eine alte Bahn.“

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Die Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) weist mit Blick auf die Kritik an der Barrierefreiheit in den neuen Bahnen darauf hin, dass die Anschaffung der Niederflurbahnen auch mit der Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereinigungen (AGB) abgestimmt worden sei. Ohne eine Zustimmung der Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereinigungen hätte die MVG die insgesamt 15 Niederflurbahnen nicht anschaffen können und hätte keine Freigabe der Bezirksregierung dafür erhalten, erläutert der MVG-Sprecher.

Noch keine Klagen beim Behindertenverband

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereinigungen, Alfred Beyer, bestätigt die Einbeziehung im Vorfeld. Seit die neuen Bahnen im Einsatz sind – seit Spätsommer vergangenen Jahres, seien ihm noch keine Klagen zu Ohren gekommen, was die Barrierefreiheit anbelange.

Alfred Beyer von der AGB verweist ebenso wie Olaf Frei von der MVG auf die Möglichkeit des kostenlosen Begleit-Services in Bussen und Bahnen der MVG, der werktags zwischen 7.30 und 19 Uhr angeboten wird. Auf Wunsch holt ein Begleiter den Fahrgast zu Hause ab und geht mit ihm zur Haltestelle. Der MVG-Begleitservice muss mindestens einen Tag vorher telefonisch oder per Fax zwischen 8 und 14 Uhr unter 451 11 33 angemeldet werden. Außerdem veranstaltet die MVG Trainings für ältere Menschen, in denen auch sicheres Verhalten an Haltestellen, in Bus und Bahn und beim Ein- und Aussteigen vermittelt werden. Anmeldung: 451 12 34.