Mülheim. . Ferhat Isik (43) hat am 3. Oktober 2015 lokale Straßenbahn-Geschichte mitgeschrieben – der MVG-Fahrer aus Styrum hat dies als Glück empfunden.

Er kann beides: einen Bus durchs Stadtgebiet lenken, aber auch eine Straßenbahn. So viele Fahrten hat MVG-Fahrer Ferhat Isik schon hinter sich – doch die am 3. Oktober 2015 wird er wohl sein Leben lang nicht vergessen. Da war Isik der Letzte, der die Straßenbahn 110 von der Friesenstraße in Styrum gen Hauptfriedhof fahren durfte, bevor die Linie stillgelegt wurde.

Es war ein Happening, wie es Isik in seiner Dienstzeit bei der MVG nie zuvor erlebt hat. Als er an jenem Samstagabend das letzte Mal die Wendeschleife an der Friesenstraße genommen hat, empfängt ihn an der dortigen Haltestelle ein Blitzlichtgewitter, das den Vergleich mit dem roten Teppich hier und da im Filmbusiness kaum scheuen muss.

Straßenbahn-Freunde aus Nah und Fern bei der Abschiedstour dabei

Rund 60 Straßenbahn-Freunde aus Nah und Fern wollen zur Abschiedstour der 110 einsteigen. Isik lächelt – und winkt in die Kameras. Wäre die Nachfrage auf der Linie doch bloß immer so groß gewesen. . . Isik hat ein paar Minuten Pause, steigt aus und macht mit seinem Handy ein Bild von all den Schaulustigen. Von den Fahrgästen, die an diesem Abend ausnahmslos fröhlich sind.

„Es hat mich sehr gefreut, dass ich die letzte Fahrt machen durfte“, sagt der 43-jährige Styrumer heute. Die letzten drei Tage der 110 hat Isik als Fahrer miterlebt. An jedem der Tage waren Kameras auf die Bahnen und ihn gerichtet. „Aber die letzte Fahrt war die tollste“, sagt er. Seit 1911 war die Straßenbahnstrecke in Betrieb, mehr als 100 Jahre – „es war ein gutes Gefühl für mich, die letzte Fahrt gemacht zu haben“.

2004 ist Isik, der gelernte Stahlbauschlosser, über eine Umschulung zum Berufskraftfahrer zur MVG gekommen. 2012 die Zusatzqualifikation zum Straßenbahnfahrer. „Ich mag meinen Job“, sagt er so unaufgeregt, wie sein Wesen ist. „Wir fahren von A nach B, wir helfen ja, dass die Leute zur Arbeit, zur Schule kommen. . .“

Ein Fahrschalter zum Schieben

Dass er viele klapprige, anfällige Bahnen fahren musste, dazu will Isik sich nicht auslassen. „Es hat auch Spaß gemacht, die alten Bahnen zu fahren“, sagt er. Signale anfordern, Türen öffnen, Blinker setzen – alles auf Knopfdruck. Dazu ein Fahrschalter zum Schieben. In den neuen Niederflurbahnen bedient Isik ein Display, freut sich über mehr Komfort in der Fahrerkabine. Endlich: verstellbare, breitere Fahrersitze. „Viele Kollegen haben Rückenprobleme.“

Straßenbahnfahren. Das, sagt Isik, kann das Gefühl von Freiheit bescheren. Etwa wenn er die Aktienstraße hochgefahren ist und auf die autofreie Gleistrasse gen Abzweig Essen rollt. Ansonsten sei volle Aufmerksamkeit gefordert, allein wegen der Verantwortung für die Fahrgäste. „Ich muss immer offene Augen haben. Aufgrund des Gewichtes ist der Bremsweg lang.“

Eine Handvoll Halsbonbons

„Leider“ war er auch mal in einen Unfall verwickelt. Als er an der Tilsiter Straße losgefahren war Richtung Stadtmitte, zog ein Autofahrer vor ihm rein, „obwohl ich geklingelt habe“. Isik ist seitlich ins Auto reingefahren. Zum Glück blieb’s beim Blechschaden. Schöne Geschichten gibt’s auch: Da freut sich Isik etwa über die ältere Dame, für die er so lange an der Haltestelle gewartet hat, bis sie einen Sitzplatz gefunden hatte. Als sie ausstieg, drückte sie ihm eine Handvoll Halsbonbons in die Hand. „Eine schöne menschliche Geste“, sagt der gebürtige Türke, der Vater von vier Kindern ist.

Kinder sind keine Kunden, aber Könige. „Mit ihnen unternehme ich gerne Ein-Tages-Ausflüge mit unserem Kleinbus“, erzählt Isik von Fahrten nach Venlo oder anderswo in Holland. Einmal ging’s nach Paris. 3 Uhr morgens Abfahrt an der Augustastraße, rauf auf den Eiffelturm, 17 Uhr wieder zurück. „Die Kinder wollten da gerne mal hin.“ Isik ist da gern ihr Dienstleister. Kennt er sich ja mit aus.