Mülheim. Ein Gespräch mit der Fraktionsspitze der Grünen, Tim Giesbert und Franziska Krumwiede-Steiner, über die Folgen eines nicht beschlossenen Etats und ihre Ziele in diesem Jahr.

Bis zur Abstimmung über den Etat sind es gerade noch acht Tage. CDU und SPD, die sich in den vergangenen Jahren immer in der letzten Minute einigten, haben aber schon seit Monaten nicht mehr zusammen gesessen und gesprochen. Die CDU mauert, hat sich klar positioniert: Die Stabilität der Gewerbesteuer ist für sie unverhandelbar.

Die Grünen signalisierten schon in der Dezembersitzung des Rates, dass sie unter Bedingungen zustimmen könnten und ernteten dafür bei der CDU Spott. In ersten Gesprächen hat sich inzwischen herauskristallisiert, dass SPD und Grüne sehr nahe sind, wie die Fraktionsvorsitzendenden der Grünen Tim Giesbert und Franziska Krumwiede-Steiner im Redaktionsgespräch schildern.

Es wird knapp

Aber es würde nicht reichen, auch mit den Einzelkämpfern im Rat würde es knapp. Die Situation ist ernst. „Es muss doch allen klar sein, was passiert, wenn der Sparkassenkommissar kommt“, sagt Giesbert. „Der dreht als erstes auch an der Steuerschraube und das vermutlich deutlicher stärker als bislang von uns geplant ist. So zumindest war es in anderen Städten.“ Damit würde die CDU den Unternehmen einen Bärendienst erweisen.

Giesbert und Krumwiede-Steiner gehen davon aus, dass die Bürger, die die Finanznot der Stadt bislang kaum zu spüren bekamen, dann „richtig bluten müssen“. Alle freiwilligen Ausgaben kämen auf den Prüfstand und würden gegebenenfalls gestrichen. Dazu zählen Straßenbauprojekte ebenso wie sozial notwendige Einrichtungen und Akzente, das Museum, dessen Sanierung ansteht, und Theaterangebote. Das neue Schwimmbad, für das die CDU sich so vehement einsetzt, wäre dann auch vom Tisch. „Das alles kann die CDU nicht wollen“, sagt die Grünen-Fraktionsspitze.

Die FDP bietet keine Perspektive

Dass gemeinsam mit der FDP der Haushalt gestemmt werden könne, glauben die Grünen nicht. Auf die Frage, ob sich lohne darüber zu sprechen, habe deren Fraktionschef Peter Beitz mit Nein geantwortet, so Giesbert. „Auch diejenigen, die im Rat dem Haushalt nicht zustimmen, tragen Verantwortung“, stellt er fest. Nämlich für die negativen Auswirkungen. Um diese Verantwortung klar zuordnen zu können, sind die Grünen auch gegen eine geheime Abstimmung.

„Gesprächsbereitschaft haben wir auch schon in den vergangenen Jahren immer wieder angeboten“, betont Giesbert. Für die Grünen sei es aber immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass dann aber auch eine grüne Handschrift erkennbar sein sollte. Es könne nicht sein, dass die Grünen nur für den unangenehmen Teil herhalten müssen, damit die Interessen der CDU-Klientel erfüllt werden. Giesbert und Krumwiede-Steiner räumen ein, dass ihre Ablehnung in der Vergangenheit symbolischen Charakter hatte. Die Verabschiedung war ja nicht in Gefahr.

Mit Sorge stellen sie fest, dass die CDU nicht mit einer Stimme spricht. Die Äußerungen der beiden Saarner Christdemokraten, Frank Blum und Frank Wagner kürzlich im Finanzausschuss, aber auch öffentlich in den sozialen Netzwerken finden die beiden Grünen schockierend. Erst am Montag hatte Blum auf seiner Facebook-Seite gepostet: „Für mich ist diese „Kanzlerin“ untragbar geworden.“ Zuvor hatte er Angela Merkel schon eine Betonmentalität bescheinigt und sie aufgefordert, die persönlichen Konsequenzen zu ziehen, also zurück zu treten. All das, so Giesbert, könne man natürlich sagen, offenbare aber auch eine Geisteshaltung.

Die Zukunft der Medl

Die Haltung der Grünen ist freilich eine andere. So sieht Krumwiede-Steiner etwa auch den Bedarf, neben der Einstellung von Frauen bei der Stadtverwaltung auch die Einstellung von Menschen mit Migrationsgeschichte zu fördern. „Die können sich in die Probleme ganz anders hineindenken“, sagt sie. Das beweise sich schon in den Gesprächen mit ihrem Ratskollegen Justin Fonkeu Nkwadi, der für die Grünen auch neue Kreise erschließe. Diversivität ist ein Begriff, der im Gespräch mit Krumwiede-Steiner häufig fällt. In dem Zusammenhang bedauert sie, dass der Integrationsrat durch die Konfrontation zwischen der SPD und der Vorsitzenden Emine Arslan in eine Krise geraten sei. Hier sei ein Neubeginn dringend nötig, damit das Gremium auch thematisch wieder arbeiten könne.

Es gibt auch noch andere große Themen in diesem Jahr: Zum Jahresende stellt sich die Frage, ob RWE weiterhin der richtige Partner der Medl ist. Die Grünen sind da zurückhaltend, fordern eine genauere Prüfung, ob nicht auch ein andere Partner oder ein stärkerer kommunaler Anteil möglich sein könnte. „Wir haben auch Hinweise von Energieexperten, dass man den Wert der Medl auch deutlich tiefer ansetzen kann als dies Hendrik Dönnebrink in seinem Gutachten tut“, so Giesbert. Auch verkehrspolitisch sehen die Grünen Handlungsbedarf. Einerseits, um in der autofreundlichen Stadt, die Situation für Radfahrer zu verbessern.

Im Radschnellweg sehen sie schon mal einen Meilenstein, dem weitere folgen müssen. Aber es gibt auch die große Herausforderung, das Defizit der MVG abzubauen. Wie, wissen die Grünen auch nicht. Im Gutachten seien erste Ansätze formuliert. Einfach Einsparziele in den Raum zu stellen, wie dies CDU und SPD im letzten Jahr getan haben, sei aber auch keine Lösung. Ein erster Schritt ist für Giesbert, die bestehenden Doppelstrukturen in Essen und Mülheim abzubauen. Der Vision einer ruhrgebietsweiten Verkehrsgesellschaft wie sie Oberbürgermeister Ulrich Scholten formuliert hat, können sie zustimmen. „Es ist ein Anachronismus, dass Linien an der Stadtgrenze aufhören“, sagen sie.

Weitere Integrationsstellen

Bauen ist ein anderes Thema. Die Stadt wächst und das nicht wegen der Flüchtlinge. Die Grünen fordern Wohnraum in allen Preisklassen. Dabei müsse auch Flächenrecycling eine große Rolle spielen. Es sollten weniger neue Flächen verbaut werden. Die Grünen denken da unter anderem an die Ibing-Brauerei und andere Brachen, die allerdings meist nicht in städtischem Eigentum seien. „Wir müssen eine gesunde Mischung hinbekommen“, fordert Giesbert.

Einen grünen Akzent will die Fraktionsspitze in 2016 auch in der Flüchtlingspolitik setzen: An Schulen sollen weitere Integrationsstellen geschaffen und an der VHS die Sprachkurse ausgeweitet werden. „Die gerade veröffentlichte Bertelsmannstudie hat gezeigt, dass es da noch Bedarf gibt“, sagt Krumwiede-Steiner. Der Standard der Unterbringung sei zwar höher als in den Nachbarstädten, wäre aber aus ihrer Sicht auch noch ausbaufähig.

Bei der Verabschiedung des Haushalts setzen sie auf eine gesichtswahrende Lösungen für die CDU. „Es würde reichen, wenn sie an der Abstimmung nicht teilnimmt...“