Mülheim. Die Zukunft vieler Beschäftigter im Diakoniewerk Arbeit & Kultur ist durch immer wieder wechselnde Schwerpunkte der Förderprogramme ungewiss.

Die bürokratischen Hürden waren groß, doch Ulrich Schreyer ist zuversichtlich, dass Anfang 2016 die ersten Flüchtlinge beim Upcycling in der Tischlerei, der Textilabteilung und Cafeteria eingesetzt werden können. Für den Geschäftsführer des Diakoniewerks ist „eine schnelle Beschäftigung die beste Garantie dafür, dass die Integration gelingt. Die Motivation der Menschen ist groß. Sie wollen arbeiten“, sagt er im Gespräch mit der NRZ.

Wichtig sei aber auch, dass diese Arbeitsplätze zusätzlich entstehen. Mitarbeiter, die über Förderprogramme für Langzeitarbeitslose zum Diakoniewerk kommen, dürften nicht gegen Flüchtlinge ausgespielt werden. Das gefährde den sozialen Frieden. Dies zu vermitteln, ist in Zeiten, in denen die Zuschüsse für die Förderprojekte drastisch gekürzt worden sind, nicht einfach. „Ich halte die Resignation, die teilweise offene Verzweiflung, die Niedergeschlagenheit und die Tränen der betroffenen Menschen kaum noch aus, wenn sie wieder einmal ausscheiden müssen“, so Ulrich Schreyer. Finanziell geht es bei den Förderprojekten dabei nicht um große Summen für die Beschäftigten. Sie erhalten 1,30 Euro die Stunde extra zu ihrer Sozialhilfe.

Aber was die Menschen an Selbstbewusstsein, Wertschätzung und Lebensfreude durch die Arbeit gewinnen, sei kaum in Geldbeträgen auszudrücken. Hochmotiviert sind die Mitarbeiter beispielsweise in der Schreinerei, die für den Verkauf in der Sonderbar an der Kaiserstraße aus alten Paletten und anderem Abfall mit viel Kreativität und Leidenschaft pfiffige Möbel und Designstücke fertigen. Upcycling nennt man das, wofür in Großstädten viel Geld gezahlt wird. Hier läuft der Verkauf schleppend, aber zufriedenstellend an. Doch auch für diese Mitarbeiter gibt es ein Ende der Förderung, das bitter und schmerzhaft ist. Den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt schaffen auch sie meist nicht. Erst kürzlich stand einer aus dem Team vor dem Aus. Ulrich Schreyer suchte und prüfte, welche Maßnahme passen könnte. Derzeit ist das Programm „Stadt.Arbeit“ Förderschwerpunkt der Sozialarbeit. Es richtet sich an alleinerziehende Frauen. Passt also nicht. Am Ende gab es eine Lösung für den Mitarbeiter in der Schreinerei. Vorerst.

Verlorene Perspektiven

Schreyer sagt ganz klar: „Menschlich macht das keinen Sinn, volkswirtschaftlich macht das auch keinen Sinn. Es macht keinen Sinn für die Menschen, und es ist unserer Gesellschaft nicht würdig, dass die Menschen, die den Preis der Rationalisierungsmaßnahmen der letzten fünf Jahrzehnte zahlen, so wenig Unterstützung von uns erhalten.“ Er möchte keine Kritik an der Rationalisierung üben, denn die war wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Doch durch den Wegfall einfacher Tätigkeiten haben die aus welchen Gründen auch immer Unqualifizierten ihre Perspektive verloren.

Ulrich Schreyer fordert seit Jahren einen steuerfinanzierten sozialen Arbeitsmarkt. Über Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat diese Forderung Eingang in die Koalitionsvereinbarung in Berlin gefunden. Doch wie die Bundesregierung dies umzusetzen gedenkt scheint noch völlig offen.

Mit der Arbeitslosigkeit finde man sich heute ab. Schreyer erinnert sich an die 70er Jahre, als Helmut Schmidt Kanzler war und es zu den ersten Rezessionen kam. Da hieß, eine Millionen sei die absolute Obergrenze, sonst gibt es Unruhen. Inzwischen sind es drei Millionen und alle reden vom Fachkräftemangel. Die Arbeitslosigkeit hat sich verfestigt.

Bei der Tafel soll an bisherigem Prinzip festgehalten werden

Schreyer spricht von einer „Parallelgesellschaft“ und einem „bürokratischen Wahnsinn“. Die Menschen würden Förderprojekten zugewiesen und bekommen vielleicht noch eine Verlängerung oder würden in eine andere Maßnahme gesteckt. Und dann? „Dann war es das, egal ob jemand fleißig, gut und pünktlich war. Jeder weiß, dass man diese Leute nicht mehr vermitteln wird“, so Schreyer.

Es sind solche bürokratischen Hürden, die für Schreyer immer unterträglicher werden. Als er sich kürzlich für zwei Flüchtlingsfamilien einsetzen wollte, stieß er an Grenzen, weil sie nur in einer Erstaufnahmeeinrichtung des Landes untergebracht und keiner Kommune zugeordnet waren. Er musste zum Wohl der Flüchtlinge um eine gute Lösung kämpfen.

Bei der Tafel will er unbedingt weiterhin an dem bisherigen Prinzip festhalten, kein Nachweis von Bedürftigkeit, keine Bürokratie. In der Bundesrepublik dürfte das einzigartig sein. Ulrich Schreyer ist aber alles andere als ein Sozialromantiker. Ordnung muss sein, es gibt mit ihm keine anbiedernde Kumpanei. „Eine normale Arbeit beginnt um 8 Uhr“, das ist für ihn gesetzt. Und es gibt Regeln im Diakoniewerk. Die muss es auch geben – bei 1500 Menschen, „die hier irgendwie einen Ort gefunden haben.“ Und sie werden befolgt.

Wie nach den Anschlägen von Paris, als es um 12 Uhr eine Schweigeminute gab. Besucher und Mitarbeiter des Diakoniewerks wurden zuvor darüber informiert. Ein Syrer fragte nach dem Warum: „Bei uns fallen täglich Bomben.“ Doch um 12 Uhr war es still an der Georgstraße. Noch heute ist Ulrich Schreyer bewegt: „Sie hörten drei Minuten lang nicht einen Ton.“