Mülheim. . Mülheims Politik winkt das Paket zu Flüchtlingsunterkünften für 2016 ab. Damit hat die Stadt nun Planungssicherheit.
Die Herausforderung, ankommende Flüchtlinge in der Stadt unterzubringen, ist ungebrochen hoch. Die Politik hat der Stadtverwaltung am Mittwochabend einigen Druck vom Kessel genommen. Sie folgte einem Vorschlag aus der Verwaltung, für 2016 an acht Standorten neue Flüchtlingsunterkünfte zu planen.
Am Ende stimmten außer den Mülheimer Bürgerinitiativen, dem fraktionslosen Jochen Hartmann, der Alfa-Gruppe und Linken-Ratsherr Andreas Marquardt alle Ratspolitiker für jene acht Standorte, an denen jeweils mindestens 160 Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf bekommen sollen.
Scharfe SPD-Kritik an fadenscheinigen Argumenten gegen Standorte
Das war eine große Mehrheit. Doch es gab auch Kritik, es gab mahnende, gar böse Worte, die durch den Ratssaal tönten. Insbesondere von der SPD fingen sich MBI-Fraktionschef Lothar Reinhard und Ex-AfDler Jochen Hartmann Kritik für ihre ablehnende Haltung ein. SPD-Nachwuchspolitiker Rodeon Bakum warf beiden vor, mit fadenscheinigen Argumenten gegen einzelne Standorte oder gegen die Willkommenskultur insgesamt zu wettern. „Mit Ihrem Duktus in der Argumentation bedienen Sie genau die Bürgerängste“, schimpfte Daniel Mühlenfeld. Flüchtlinge als Hygieneproblem darzustellen, als Problem der Kriminalitätsstatistik, sagte er in Richtung Hartmann, das sei „infam, menschenverachtend“.
Aktuell hatte sich Hartmann gegen eine weitere Unterbringung von 420 Flüchtlingen an der Oberheidstraße ausgesprochen. Im Wenderfeld seien schon 130 Flüchtlinge untergebracht, die Stadt Essen plane im nahen Bedingrade eine Unterkunft für weitere 400 Personen. „Die Konzentration in Oberdümpten ist nicht zu verkraften“, so Hartmann. Dieter Spliethoff (SPD) konterte: Vor Jahren schon hätten sich die Dümptener bei der Unterbringung von Kosovaren stark engagiert, auch die Unterkunft am Wenderfeld werde „sehr gut aufgenommen“. Klar sei: Man mute den Bürgern vor Ort was zu, aber es gelte auch, Zutrauen zu haben in die Bereitschaft der Bürger, die Herausforderung im positiven Sinne anzunehmen.
Ernst: 4000 Quadratmter Schulhof in Speldorf sind ausreichend
MBI-Mann Reinhard probte vor allem noch einmal Widerstand gegen die Schulhofbelegung am Blötter Weg in Speldorf. Flüchtlinge auf einem Schulgelände – das sei für die meisten Städte ein Tabu, nur für Mülheim nicht. Man dürfe „den Schulbetrieb nicht so stören“. Sozialdezernent Ulrich Ernst verwies auf einen Elternabend Anfang Dezember in der Schule. Dort hätten sich zwar auch Gegner der Unterbringung vehement in die Diskussion eingebracht, das Gesamtbild aber sei ein anderes, als es die MBI in die Stadt trage: „Die Mehrheit dort ist nicht gegen die Einrichtung.“ Und, übrigens: Es verblieben 4000 Quadratmeter Schulhof.
Ernst nannte den Beschluss zur Flüchtlingsunterbringung „eine solide Basis“ für die nahe Zukunft. So müsse die Stadt nicht länger mit Dringlichkeitsbeschlüssen hantieren. Im Februar sollen an der Oberheidstraße in Dümpten die ersten Unterkünfte auf der Sportanlage Heelwegfeld bezugsfertig sein.
Sozialdezernent verspricht Bürgerinformation vor Ort
Sozialdezernent Ulrich Ernst versprach, an allen künftigen Standorten in Bürgerversammlungen zu informieren, wenn es soweit sei. Natürlich auch an der Großenbaumer Straße in Broich. Gegen ein Flüchtlingsheim dort sprechen sich dortige Bürger aus. Sie überreichten Oberbürgermeister Ulrich Scholten am Mittwoch eine Liste mit mehr als 100 Unterzeichnern. Sie befürchten unter anderem, dass der Raum Broich/Saarn überstrapaziert wird durch die hohe Zahl an dort untergebrachten Flüchtlingen.
Diese Meinung, schon einmal gegenüber dieser Zeitung geäußert, vertrat im Stadtrat auch noch einmal Frank Wagner (CDU). Dabei legte er sich öffentlich mit seinem Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Michels an, der Wagners Äußerungen zur Flüchtlingsfrage zuletzt in einem Interview als „private Einzelmeinung“ innerhalb der Union abgetan hatte. Wagner: „Es gibt große Ängste und Sorgen einheimischer Bürger, die einfach nicht ausreichend berücksichtigt werden. Saarn wird exorbitant stark belastet. Das ist keine Einzelmeinung.“ Wagner sprach von einem „Sprengstoff“ für die Stadtgemeinschaft.
Enver Sen „Hier passiert etwas Wunderbares“
Versöhnende Worte suchte Enver Sen (SPD) zum Ende der Debatte. „Hier in Mülheim an der Ruhr passiert etwas Wunderbares“, lobte er wie OB Scholten das große ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingshilfe. „Es wird immer Menschen geben, die nicht unserer Meinung sind. Aber die meisten Menschen wollen helfen, damit Flüchtlinge hier ein Zuhause finden und uns später, man denke an die demografische Entwicklung, vielleicht auch bereichern.“
Hans-Hermann Stollen von den Grünen forderte die Stadt auf, fernab der Notunterkünfte auch schon für die Zukunft zu planen. „Wir sollten jetzt beginnen, den sozialen Wohnungsbau zu stärken“, sagte er. Dabei müsse zwingend berücksichtigt werden, dass eine gesunde Mischung aus Einheimischen und Neuankömmlingen in Wohngebieten zustande komme. So wie in Hamburg Wohnsiedlungen ausschließlich für Flüchtlinge zu bauen, berge die Gefahr entstehender Gettos in sich. „Das ist nach meinem Dafürhalten zum Scheitern verurteilt.“
Acht neue Flüchtlingsunterkünfte
Mit nur fünf Gegenstimmen der MBI und vom fraktionslosen Jochen Hartmann hat der Stadtrat gestern die Einrichtung acht weiterer Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2016 beschlossen. Damit könnte rund 2000 Menschen ein Dach über dem Kopf geboten werden.
Die Ratsmehrheit folgte dem Vorschlag der Verwaltung, zusätzliche Unterbringungen zunächst an der Oberheidstraße in Dümpten (420 Plätze), auf dem Areal zwischen Klöttschen und Vereinstraße in Eppinghofen (240) sowie auf einem Teil des Schulhofes am Blötter Weg in Speldorf (160) möglich zu machen. Der CDU-Antrag, die für einen Verkauf vorgesehenen städtischen Flächen an der Friedhofstraße (180, Speldorf) und an der Großenbaumer Straße (290, Broich) erst dann mit mobilen Unterkünften zu besetzen, wenn alle anderen Kapazitäten ausgeschöpft sind, folgte die Mehrheit. Zuvor sollen Unterkünfte an der Brunshofstraße (290, Raadt), der Pilgerstraße (160, Dümpten) und am Schlippenweg (260, Holthausen) geschaffen werden. Die MBI kritisierten insbesondere die Wahl des Schulhofes in Speldorf, Jochen Hartmann sprach sich gegen ein Wohnheim an der Oberheidstraße aus.